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Von unserem Pariser Korrespondenten

(statt eines Vorworts)

Wer in Frankreich lebt und liest, was Frankreich-Korrespondenten der deutschsprachigen Zeitungen über Frankreich schreiben, der staunt. Der fragt sich, wie so viele Korrespondenten so regelmässig so gouvernemental über ein Land schreiben können, das so unablässig so subversive Themen anbietet. Und er fragt sich: Wie kommt das?

So kommt das:

Der Korrespondent erwacht knapp vor sieben Uhr. Mit täglich neuer Zielstrebigkeit treibt es ihn zum nächsten Kiosk, wo die Zeitungsfrau ihm schon alle Morgenzeitungen entgegenstreckt (oder fast alle, denn auf «Libération» und «Humanité» verzichten viele). Das macht also immerhin drei Morgenzeitungen, welche der Korrespondent nun in seiner Gewissenhaftigkeit studiert. Mit einem Ohr hört er dabei die Morgennachrichten. Nachdem er die frischen Zeitungen ausgeweidet hat, welche ideologisch alle ungefähr zwischen dem «Bayernkurier» und der «Frankfurter Allgemeinen» liegen, wenn nicht sogar rechts vom «Bayernkurier», konsultiert er noch die Abendzeitungen vom Vortag: «Le Monde», «La Croix» und «France-Soir». Nun hat er also sein beruhigend breites Meinungsspektrum vor sich: vom rassistisch geifernden «Parisien libéré» über den neokolonialistischen «Aurore», den stockkonservativen «Figaro», den gaullistischen «France-Soir», die katholische «La Croix» bis hin zum linksbürgerlichen «Le Monde» sind alle Schattierungen innerhalb des bürgerlichen Schattens vorhanden. Da unser Korrespondent der Objektivität verpflichtet ist, berücksichtigt er in seiner Bouillabaisse alle Ingredienzen, an manchen Tagen sogar die «Humanité». Unter kräftigem Umrühren mischt er die Zutaten zu einem völlig neuen Brei, so dass die ursprünglichen Brocken nicht mehr erkennbar sind und sein Eintopfgericht riecht, als ob es eine originale Schöpfung wäre.

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