Читать книгу Reportagen 1+2 онлайн

98 страница из 255

Ich darf sogleich beifügen, dass ich diesen Part des Meienbergstuntman nicht zum ersten Mal spiele, sondern ihn schon öfters am Fernsehen, Radio und bei Streitgesprächen übernommen habe; immer dann, wenn es gilt, den angeblich wilden, bösen, sarkastischen, aggressiven M. zu spielen, nennen wir ihn Meienberg II. Um meine Vertreterrolle, die hiermit enthüllt ist, zu erklären, muss ich in der Geschichte etwas zurückgreifen und Ihnen erläutern, wie das real existierende Medienwesen diese Abspaltung erzwungen hat. Meienberg I., so darf ich in Erinnerung rufen, hatte während seiner Pariser Korrespondentenzeit recht viel in seine Arbeiten investiert und auch immer versucht, den philosophischen Strömungen der damaligen Zeit auf den Grund zu gehen, etwa in grossen Interviews mit einem Michel Foucault, einem Pablo Neruda; und auch die politischen Strömungen wollte er erkunden, im Gespräch z.B. mit Charles Tillon und François Mitterrand, sowie in grossen Pariser Reportagen. Bald musste er feststellen, dass diese aufwendigen Stücke ziemlich echolos über die Bühne gingen und kaum je eine Debatte provozierten. Als er dann, nach seinen Pariser Lehrjahren, in die Schweiz zurückkehrte und die Instrumente, welche er in Frankreich gewetzt hatte, an heimatlichen Themen erprobte, waren die Folgen plötzlich überwältigend, vor allem für ihn. Seine Sujets und sein Stil waren anscheinend im Begriff, eine Marktlücke zu füllen, die Reaktionen (d.h. sehr oft: die Antwort der politischen Reaktion) kamen hageldicht, es war etwas los, manchmal sogar der Teufel. Wenn ich an die Wirkungsgeschichte des Films über den Landesverräter S. denke und daran erinnere, wie grotesk, aber auch wie lustig, jedenfalls wie deutlich damals die Positionen eines verkalkten Bürgertums bezogen wurden – da gab es doch jene dreissig Professoren der Universität Bern, welche beim Oberbürgermeister von Mannheim feierlich dagegen protestierten, dass dieser Film den ersten Preis des Dokumentarfilmfestivals gekriegt hatte; und anschliessend kam heraus, dass keiner von den Herren den Film gesehen hatte –, und wenn ich an die heftigen Wallungen denke, welche beinahe jeder zweite Artikel von ihm provozierte, so wird wohl verständlich, dass er lustvoll diesen Acker weiter pflügte. Der Ekel, den er über die Zustände empfand und formulierte, war zwar echt und empirisch fundiert, kam aus der Anschauung und Anhörung; aber der Markt war auch echt, hat ihn fast zu einem Markenartikel gemacht und manchmal verführt, nur die eine Komponente seines Temperaments auszubeuten. Das Publikum schrie nach mehr, mochte nur das Heftige kaufen. Als er dieses merkte, sah er sich nach einem double um, denn er wollte weiterhin auf dem Markt bleiben und dort den Hecht spielen, Karpfen gibt es ja wohl genug, und so hat er eben mich, den stuntman Meienberg II., in die Öffentlichkeit delegiert und mich mit sogenannt streitbaren Artikeln und Auftritten betraut. Er könne nämlich, so sagte er mir damals, als Streithammel und Rammbock und offiziell akkreditierter Robin Hood und wackerer Rächer der Armen seine meditativen Talente nicht entwickeln, will sagen, das Philosophische zu wenig pflegen und der Lyrik nicht obliegen, und ausserdem sei das ewige Stämpfeln und Zörneln eine anstrengende Sache, und, so zitierte er einen Dichter:

Правообладателям