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Ich hätte nochmals bis Samstag gewartet, um sie zu Hause antreffen zu können; in die Schule hätten sie keinen Fuß gesetzt, nie und nimmer, und nicht nur aus Zeitmangel; so wäre ich denn nochmals hingereist, am Samstagnachmittag, im gelben Postauto mit dem Schweizer Kreuz, und darin die vielen üppigen Frauen, die zwei Plätze belegen, weil sie breitbeinig sitzen, die gewaltige Einkaufstasche an den Bauch gedrückt; zu Fuß wäre ich wieder die Hauptstraße des Dorfes hinaufgegangen, das so sau­ber aussah wie für eine Ausstellung, mit den von der Hand eines geduldigen Kindes, des Ersten der Klasse, sorgfältig aneinandergereihten Häuserwürfeln, mit dem Brunnentrog aus Stein oder aus einem hohlen Baumstamm, den roten Geranien auf jedem Fenstersims, dem schmiedeeisernen Wirtshausschild mit dem Bären, dem Posthorn, dem Stern; die Leute hin­ter den Geranien würden am Saum der Gardine zupfen – ein Wimperschlag – und mir nachschauen; und dann würde ich in eine Gasse mit ärmlicheren Häusern einbiegen, eins wie das andere, und überall ­hinge Wäsche zum Trocknen und stünden zahllose Occasionsfahrräder in den Ecken und Winkeln der Flure und Gänge herum, und die schönen italienischen Stimmen würden mich zwei oder dreimal vor die falsche Türe locken; und schließlich wäre ich dann wieder der ungebetene Gast, der Eindringling in der ranzigen Luft einer Küche, von wo ich durch aufgerissene und zugeschlagene Türen einen Blick erhasche auf die ungehaltene Gebärde eines Mannes, der auf der schlafverschwitzten Decke sich die Augen wach reibt; und bin nun da und frage mich, wer wohl Sergios Vater sei unter den vielen im Unterleibchen, die auf der Bank sitzen, das Päckchen Parisiennes her­umreichen und sich die Sendung für die Gastarbeiter in der Schweiz anhören, «L’ora per voi», in diesem Stück Sizilien mitten in Döttingen; hergekommen auch ich, um mich vors Radio zu setzen und das Madonnenbild, aber doch nicht allein deswegen, ich suche Sergios Eltern und weiß nicht mehr recht, was sagen, auch ich möchte lieber zuhören und Sergios kleine Schwester auf meine Knie heraufziehen; sie warten jetzt alle ab, ich beginne zusammen und durcheinander mit «L’ora per voi» zu reden, überflüs­sig ist auch mein Mantel geworden, den sie an den Haken bei der Tür aufhängen als etwas Geheiligtes – und noch Verdächtiges – einer Lehrerin, die in den Büchern studiert hat, mit ihrem Akzent aus dem Norden, eine Unverheiratete, ohne Kinder, die Geld ausgibt für die Kleider und Gutes sagt von der Schule und von den Schweizern; ja, gewiss, auch ich eine Italienerin, Tradate-Schuhe, Borotalco und dunkle Augen, aber habe ich sie etwa auch, ich, die Schwiegereltern, für die man sorgen muss, dort unten in Poggioreale? Und die Geschwister und die ganze Familie, die von Monat zu Monat auf die Postanweisung warten; was weiß ich schon von den Schwestern, die sie unter die Haube zu bringen, von den Kindern, die sie großzuziehen haben, und die zur Welt gekommen sind, weil Gott es so wollte; wer weiß, ob ich sie wirklich verstehe, ich mit den Tintenflecken an den Fingern und den Bildchen, die ich in die Hefte einklebe; wer weiß, vielleicht wäre es besser, ich suchte mir auch einen Mann, wie es alle tun, und wartete zu Hause auf die Kinder, die der Herrgott schicken wird, ich könnte mir das leisten, vielleicht so­gar ohne in die Fabrik zu gehen, und würde das Mittagessen kochen, die Hemden bügeln, die Kleinen stillen – und nun messen sie mich mit den Blicken, all die Männer, schauen mir auf die Beine, die ge­schminkten Lippen, sie haben inzwischen den Pullover mit dem Rollkragen übergestreift und sich die Haare angefeuchtet, sie sind jetzt lauter ledige Burschen, die sich entschuldigen, dass sie sich nicht ra­siert haben, jeder und keiner von ihnen ist Sergios Vater, sie sagen den Frauen, sie sollen mir einen Kaffee machen, und ich muss auch von dem Likör trinken, muss ihre Parisiennes rauchen, denn ich gehöre doch mit dazu; und Sergio ist gekommen, die Rollschuhe über die Schulter gehängt, er antwortet brav, ein folgsamer Junge; schade, dass Salvatore und Nu­c­cia nicht auch dabei sind, das Fräulein würde sie sehen; aber ich käme ja wieder, abgemacht, sie bleiben alle noch hier in der Schweiz, hinunter reisen sie dann in den Ferien, aber hier kann man arbeiten, es geht einem besser als dort, und es gibt die Migros, wo man alles billig einkauft: ob ich nicht die Pommes-frites-Pfanne und die Wurstschneide- und die Es­pres­so-Maschine gesehen habe; auch hier gibt es nette Leute, der Lehrer von Sergio ist streng, doch wenn das Kind es verdient, so hat er ja recht, sie wollen gar nichts behauptet haben, aber … Aber ich weiß es schon, sie werden nicht zum Lehrer gehen, um mit ihm über Sergio zu reden, und auch sie haben recht, was hat das alles mit dem Reglement und der Sprache zu tun, ihr Kind wird auch in Italien groß werden, sie werden ihm ein Haus in Poggioreale bauen; es wird ein Handwerk lernen auch ohne Deutschunterricht; und sie wollen mir ihren Marsala einschenken, und ich soll doch bitte von der Lyonerwurst aus der Mi­gros versuchen.

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