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Für mich dagegen gab es das jetzt und war so echt wie die auf seinem Tisch gerade ausgerichteten Bleistifte und Taschenmesser, wie jeder Winkel in seinem Zimmer mit dem Plattenspieler, der Griechenlandkarte und dem Amaro Giuliani, das Zimmer, das ich durch die ab­geteilten Fensterscheiben im Nu ganz klar vor mir erblickte: Dies machte mir plötzlich Angst, dass ich so in ein Luftloch stieß, mitten unter den in zwei Sprachen lärmenden Kindern, dies, dass ich mich fragte, wo sie denn hinfließt, die Zeit.

Es war nicht immer leicht, sich in der Schule zu verständigen: Die Kinder redeten oft, auch unter sich, schweizerdeutsch und fanden dann mit mir den ­italienischen Ausdruck nicht. Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch in Brugg: Es war in einer Pause, als die Schüler wild im Hof herumtollten: Auch die Schweizer tobten, während ich mir doch immer vorgestellt hatte, die Kinder aus dem Norden seien stille, gesetzte, brillentragende kleine Erwachsene, wie ich sie im Hotel in Riccione als Feriengäste im Ge­dächtnis hatte. Die Lehrer kümmerten sich überhaupt nicht um sie, ließen sie gewähren (da hätten wir also ihren Freiheitskult, die Achtung vor dem Individuum) und spazierten unter dem Vordach in Mönchssandalen auf und ab wie Kinder in der Krippe auf dem Dreirad, wenn es regnet, in Gesellschaft einiger Frauen mit weißen Zoccoli und mit gekreuzten Armen, die als Büstenhalter dienten: Es waren die Kolleginnen, wie sie mir nachher sagten, die Leh­re­rinnen, lauter Fräulein mit dem Namen auf dem Türschild. Ich musste über den Hof gehen und sah mich vorsichtig um in meiner Angst, die Kinder könnten mich bei ihren heftigen Spielen über den Haufen rennen; ich war stehen geblieben, so gut und wo ich konnte, und schaute dem bunten Schwarm von Buben und Mädchen zu (hier trugen sie nicht wie bei uns die schwarzen oder weißen Ärmelschürzen mit der Schleife um den Hals, sie waren ganz wie zu Hause gekleidet); ich zählte sie, wie wenn ich eine Mar­gerite abzupfte: der ja, der nein, diese nein, diese ja; nein, nein, nein, ja: Vor allem die kleinen Italienermädchen waren leicht zu erkennen, fast immer die dunkelsten (oder waren es Spanierinnen?), mit der Haut aus einer andern Substanz, viel aufgelöstem Haar und darin dann immer etwas aufgesteckt, ein Band, ein Schmetterling aus Plastik, und mit gol­­­denen Ohrringen, alles schon kleine Bräute; wenn man sie aber reden hörte, waren es alles Mädchen aus Brugg, die munter mit- und nachplapperten, genau wie die anderen, und die nicht einmal imstande wa­­ren, mir im ersten Augenblick auf Italienisch zu sa­gen, wo mein Schulzimmer war.

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