Читать книгу Im Fallen lernt die Feder fliegen. Roman онлайн
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«Siehst du? Das Glück kann kommen wie ein Milan, der plötzlich am Himmel auftaucht.»
Am Abend rief uns Angela, die Mutter von Daniel, an. Ich nenne sie Siri, weil sie auf alles eine Antwort kennt. Nur selten ist sie ratlos. Angela ist über fünfzig, sieht aber viel jünger aus. Sie ist schlank, hat dicke Lippen, und ihre kleinen, blauen Augen sehen hinter den Brillengläsern etwas größer aus. Die Schuhe, die sie anzieht, und die Art, wie sie sich kleidet, sind für mich ein Faszinosum. Ich war perplex über die Sammlung, als ich einmal einen Blick in ihren Schuhschrank werfen konnte.
Angela treibt fast jeden Tag Sport und geht im Sommer im Bodensee schwimmen. Sie raucht nicht und trinkt nur bei besonderen Anlässen. Anstatt fernzusehen, vertieft sie sich lieber in ein Buch, nur auf den «Tatort» verzichtet sie selten. «Mit dieser Sendung bin ich groß geworden. Ein Sonntag ohne sie ist für mich unvorstellbar. Ich könnte die Woche nicht richtig anfangen», sagte sie mir einmal.
Ihre Arbeit ermöglichte ihr ein gutes Leben, und von ihren Eltern hatte sie ein Stück Rebberg in Weinfelden geerbt, für das sie eine jährliche Pacht erhielt. Daniel erzählte mir, sein Vater habe sie verlassen, weil sie fortwährend Druck auf ihn ausübte, was man essen oder besser nicht essen sollte und wie man gesund blieb. «Ich war noch ein Primarschüler, aber ich erinnere mich gut, wie sie jeden Tag stritten. Irgendwann war es für ihn zu viel. Er verließ sie von heute auf morgen. ‹Dein Vater ist weg›, meinte sie nur, als ich sie fragte, wieso mein Vater nicht mehr zu Hause ist.» Auch Daniel musste sich regelmäßig lange Vorträge über gesundes Leben anhören, auch diesmal wieder. Sie bat ihn, ihr aus Graubünden zu schreiben.