Читать книгу Es ist noch kein Meister in den Himmel gefallen. Gebrauchsanleitung für das letzte Lebensdrittel онлайн
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Später trank ich auf dem Krankenhausflur einen scheußlichen Kaffee aus einem Plastikbecher mit meinem Bruder und der Frau meines Vaters. Wir waren uns einig, die Ärzte, die uns auf einen langen Prozess und »Todeskampf« vorbereitet hatten, zu bitten, die lebenserhaltenden Geräte in zwei Tagen abzustellen. Wir waren kaum zwei Stunden zu Hause, da rief das Krankenhaus an. Wider Erwarten war mein Vater gestorben. Er hatte losgelassen. Mich durchflutete ein großer heller, warmer, weiter, goldener Strom von Glück. Und Dankbarkeit.
Ein neuer Blick auf das alte Leben
Alles hat seine Zeit. Auch Menschen, die mit dem Älterwerden Probleme haben, schätzen die Gelassenheit, die es mit sich bringt. Man regt sich nicht mehr so schnell auf oder verliert das innere Gleichgewicht, man hat gelernt, dass sich nach einer Nacht darüber schlafen auch die Perspektive gewendet hat. Ja, die ganze Welt erscheint anders, wenn man sie aus zehn-, dreißig- oder sechzigjährigen Augen betrachtet. Menschen durchlaufen verschiedene Entwicklungsstufen. Noch immer verbreitet ist die irrige Vorstellung, ein neuer Mensch sei wie ein weißes Blatt Papier, auf das die Eltern ihren Wunschzettel notieren, den das Kind dann mehr oder minder erfolgreich zu erfüllen versucht, wodurch unter Umständen zukünftige Arbeitsplätze in therapeutischen Berufen gesichert werden. Kurz vor der Pubertät fängt der junge Mensch an, seine eigenen Interessen und Vorstellungen auszubilden, er legt sich seine Welt zurecht und sucht sich einen Platz darin. Manche brauchen länger, bei anderen geht es schneller, bis zum dreißigsten Lebensjahr ist diese Phase in der Regel abgeschlossen. Man hat nun schon etwas aus seinem Leben »gemacht«, Ausbildungen absolviert, wichtige Erfahrungen, auch sexuell, mit anderen Menschen gesammelt. Alles ist bereit, um in die zweite Phase zu starten, zwischen dreißig und sechzig so richtig ranzuklotzen. Karriere, Familie, Dach überm Kopf oder in anderer Reihenfolge, was durch ein allmähliches Nachlassen sexueller Triebhaftigkeit erleichtert wird. Natürlich gibt es innerhalb der Phasen noch viele andere Einflüsse und auch zeitliche Verschiebungen. Klar ist, dass in Phase eins und zwei wenig Zeit für Kontemplation und Meditation bleibt. Dafür umso mehr in unserer dritten Lebensphase, der Hochzeit unserer geistig-seelischen Entwicklung.