Читать книгу Sittes Welt. Willi Sitte: Die Retrospektive онлайн

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Einen vollkommen neuen Stellenwert erhielt die Selbstdarstellung des Künstlers in der Kunst der Moderne. In einer sich radikal verändernden Welt reflektierten die Malerinnen und Maler anhand ihres eigenen Bildnisses die Umbrüche und mit ihnen verbundene Verunsicherungen. „Es geht nicht nur darum, das eigene Aussehen festzuhalten. Selbstporträts ermöglichen es Künstlern, ihre Überzeugungen in einer offenen und mitunter revolutionären Weise in ihren Werken zu vermitteln und sich selbst und ihre Geschichte darin zu verewigen. Ihre Kunstwerke sind sowohl zutiefst persönlich als auch für den Betrachter zugänglich.“2 Edvard Munch und Otto Dix schufen jeweils weit mehr als hundert Selbstdarstellungen; Lovis Corinth malte seit seinem Schlaganfall 1911 jährlich zu seinem Geburtstag ein Selbstporträt; revolutionär und erschütternd schonungslos sind die vielfachen malerischen Selbstbefragungen Paula Modersohn-Beckers und Frida Kahlos.

Vor diesem Hintergrund wäre zu erwarten, dass auch ein Künstler wie Willi Sitte im Laufe seines Lebens, besonders vor dem Hintergrund der vielfältigen gesellschaftlichen Veränderungen und der ihn ganz persönlich betreffenden existenziellen Krisen, die er erlebte, regelmäßig und wiederholt sich selbst künstlerisch befragt und dargestellt hätte. Dem ist jedoch nicht so. Eine wirkliche künstlerische Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich setzt in Sittes Schaffen erst um dessen Emeritierung Mitte der 1980er Jahre ein. Bis dahin kommen zwar immer wieder Selbstdarstellungen in der Grafik und selten in der Malerei vor. Eine ernst zu nehmende Relevanz erhält dieses Genre in seinem Œuvre jedoch erst sehr spät. Insgesamt ist derzeit von knapp vierzig Gemälden und etwa fünf Zeichnungen sowie zwei Druckgrafiken mit direkten Selbstbildnissen auszugehen, die nahezu vollständig in den 1980er und 1990er Jahren entstanden.

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