Читать книгу Sittes Welt. Willi Sitte: Die Retrospektive онлайн
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Parallel zu Sittes ab 1965 an Fahrt aufnehmender Karriere85 schwand jedoch sein Vertrauen auf den Erfolg des Staatsunternehmens DDR. Die Gründe waren politischer und ökonomischer Art: Der Widerstand der konservativen Parteifunktionäre in Politbüro und ZK gegen das von Ulbricht mit Hilfe pragmatischer Technokraten konzipierte Neue ökonomische System bekam Aufwind durch Chruschtschows Sturz Ende 1963 und die darauffolgende Ausrichtung der sowjetischen Politik auf den militärisch-industriellen Komplex im Donezbecken. Am 14. Oktober 1964 beschloss sein Nachfolger Leonid Breschnew (1906–1982) überraschend einen Politikwechsel, der statt Reformen einer militärischen Aufrüstung den Vorzug gab als Reaktion auf die expandierende militärische Intervention der USA in Vietnam. Damit veränderten sich schlagartig die bisherigen terms of trade für die DDR: Die Sowjetunion als Rohstofflieferantin verteuerte schrittweise bis in die 1980er Jahre die Erdölpreise, während die DDR ihre hochwertigen Fertigprodukte in Zukunft zu Dumpingpreisen zu liefern hatte. Für Sitte war das eine riesengroße Enttäuschung, wie er im Rückblick seiner Autobiografie erklärt: „Ein Großforschungszentrum war geplant, aus dem allerdings nie etwas geworden ist. Die Planungen gingen davon aus, die ganze Produktion von Braunkohle auf Öl umzustellen. Erdölleitungen wurden gelegt und entsprechende Umrüstungen vorgenommen. Mit modernsten Methoden und Mitteln sollte auf der Basis von Erdöl eine neue Produktionsphase eingeläutet werden. […] Die Einrichtungen wurden mit großem Kostenaufwand geschaffen, doch nie in Betrieb genommen, da die Sowjetunion ihre Zusagen zurücknahm und das Erdöl gegen Valuta in den Westen verkaufte. […] Für die DDR bedeutete das, mit hohen Kosten alle Anlagen wieder umzurüsten und mit der klassischen Braunkohle und der veralteten Technik weiterzumachen, von der enormen Belastung der Umwelt ganz zu schweigen. Meine Konzeption für ‚Leuna 1969‘ war von den Hoffnungen, die an die Umstellung auf Erdöl geknüpft waren, und der Vorstellung, daß wir die Zukunft voll im Griff hätten, beflügelt.“86