Читать книгу Sittes Welt. Willi Sitte: Die Retrospektive онлайн

76 страница из 150


1920 sagte Franz Kafka (1883–1924) zu Gustav Janouch (1903–1968): „Die Menschen versuchen in Russland eine vollkommen gerechte Welt aufzubauen. Das ist eine religiöse Angelegenheit. […] Der Bolschewismus wendet sich aber gegen die Religionen. Er tut es, weil er selbst eine Religion ist.“103

Am Ende die Wende zu sich selbst

In seinen zahlreichen Interviews nach der Wende bekannte sich Sitte zu seiner Rolle als Künstler in der DDR: „Ich war für die DDR, das war meine Überzeugung. Und dazu stehe ich. Andere Maler haben ihre Orden und Preise zurückgegeben, das will ich nicht, das wäre gelogen. Was war, das ist gewesen. So ist das mit dem Sitte, und so bleibt’s.“104

Seine letzten ambivalenten Selbstporträts wie Nur ein Mensch (1989/90, ssss1) offenbaren dagegen Selbstzweifel und stellen Fragen an sich und sein Publikum. Sitte hinterlässt der Nachwelt einen großen schwarzen Schatten, bedrängt von allen Seiten. Er steht vor seiner eigenen Kreuzigung, der Lorbeerkranz krönt nicht sein Haupt, sondern entschwebt in den Himmel. Der parteitreue Rebell und eigensinnige Künstler schlüpfte spätestens ab 1965 in die Rolle eines Repräsentanten des Staates und diente bedingungslos dem System. Angesichts einer ritualisierten Gesellschaft, an deren Ideale niemand mehr glauben wollte, kümmerte er sich beharrlich zuerst um das eigene Wohlergehen und dann das seiner Schutzbefohlenen im Verband.

Правообладателям