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Immer wenn Joachim v. Pasenow gezwungen war, Zivil anzulegen, kam ihm Eduard v.Bertrand in den Sinn, immer war er dann froh, daß die Zivilkleider nicht mit solcher Selbstverständlichkeit an ihm saßen wie an diesem Menschen, und eigentlich war er immer neugierig zu erfahren, wie Bertrand über die Frage der Uniform dachte. Denn Eduard v.Bertrand hätte natürlich alle Ursache, über diese Probleme nachzudenken, hatte er doch ein für alle Male die Uniform abgelegt und sich für das Zivilkleid entschieden. Das war verwunderlich genug gewesen. Er hatte die Kadettenanstalt in Culm zwei Jahrgänge vor Pasenow absolviert und hatte sich dort von den anderen in nichts unterschieden, trug im Sommer weite weiße Hosen wie die anderen, hatte mit den anderen am gleichen Tische gegessen, hatte Prüfungen abgelegt wie die anderen und dennoch, als er Sekondeleutnant geworden war, geschah das Unbegreifliche: ohne äußeren Anlaß hatte er den Dienst quittiert und war in einem fremdartigen Leben verschwunden, im Dunkel der Großstadt verschwunden, wie man so sagt, in einer Dunkelheit, aus der er bloß hin und wieder auftauchte. Traf man ihn auf der Straße, so war man immer ein wenig unsicher, ob man ihn grüßen dürfe, denn in dem Gefühl, einem Verräter gegenüberzustehen, der etwas, das ihrer aller gemeinsamer Besitz gewesen war, hinüber auf die andere Seite des Lebens getragen und es dort preisgegeben hatte, fühlte man sich auch irgendwie schamlos und nackt drüben ausgestellt, während Bertrand selber von seinen Motiven und seinem Leben nichts preisgab und von der stets gleichen freundlichen Verschlossenheit blieb. Vielleicht aber lag das Beunruhigende bloß in Bertrands Zivilgewand, aus dessen Westenausschnitt die weiße Stärkbrust schaute, so daß man sich eigentlich für ihn schämen mußte. Dabei hatte Bertrand selber einstens in Culm erklärt, daß ein richtiger Soldat die Manschetten seines Hemdes nicht aus den Rockärmeln hervorlugen lasse, weil alles Geborenwerden, Schlafen, Lieben, Sterben, kurzum alles Zivilistische eine Angelegenheit der Wäsehe sei; und wenn auch solche Paradoxien stets zu Bertrands Gewohnheiten gehört hatten, nicht minder wie die leichte Handbewegung, mit der er lässig und wegwerfend das Gesagte hinterher wieder abzutun pflegte, so mußte er sich offenbar doch schon damals mit dem Problem der Uniform befaßt haben. Mit der Wäsche und den Manschetten allerdings mochte er zum Teil recht haben; soferne man nämlich bedachte- immer erweckte Bertrand solch unangenehme Gedanken -, daß alle Männer, die Zivilisten und der Vater nicht ausgenommen, das Hemd in die Hose gesteckt trugen. Joachim liebte es daher auch nicht, im Mannschaftszimmer Leute mit offenem Rock anzutreffen; es war irgend etwas Unanständiges dabei, das zwar nicht ganz durchsichtig, dennnoch begreiflich zu der Vorschrift führte, daß für den Besuch gewisser Lokale und für andere erotische Konstellationen Zivil angelegt werden mußte, ja darüber hinaus, es geradezu als einen Verstoß gegen die Vorschrift erscheinen ließ, daß es verheiratete Offiziere und Unteroffiziere gab. Wenn der verheiratete Wachtmeister zum Morgendienst sich meldete und zwei Knöpfe des Rockes öffnete, um aus dem Spalt, in dem das karierte Hemd sichtbar wurde, das große rote Lederbuch hervorzuholen, dann griff Joachim meistens auch nach den eigenen Rockknöpfen und fühlte sich erst geborgen, da er sich vergewissert hatte, daß sie alle geschlossen waren. Fast hätte er wünschen mögen, daß die Uniform wie eine direkte Emanation der Haut wäre, und manchmal dachte er auch, daß dies die eigentliche Aufgabe einer Uniform sei, oder daß wenigstens die Unterkleidung durch Abzeichen und Distinktion zu einem Teil der Uniform gemacht werden müßte. Denn unheimlich war es, daß jeder das Anarchische, das allen gemeinsam ist, unter dem Rocke mit sich herumträgt. Vielleicht wäre die Welt völlig aus den Fugen geraten, wäre nicht im letzten Augenblick die steife Wäsche, die das Hemd in ein weißes Brett verwandelt und einer Unterkleidung unähnlich macht, für die Zvilisten erfunden worden. Joachim entsann sich des Erstaunens seiner Kindheit, als er auf dem Porträt des Großvaters feststellen mußte, daß der kein Stärkhemd, sondern ein Spitzenjabot getragen hatte. Allerdings haben die Menschen damals einen innigeren und tieferen Christenglauben besessen, und sie mußten den Schutz vor der Anarchie nicht anderwärts suchen. Das waren wohl alles sinnlose Überlegungen, und si- eherlieh waren sie auch nur Ausfluß der ungereimten Äußerungen eines Bertrand; Pasenow schämte sich fast, vor dem Wachtmeister solche Gedanken zu hegen, und wenn sie sich aufdrängten, so schob er sie beiseite und begab sich mit einem Ruck in eine dienstlich stramme Haltung.