Читать книгу Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie – Studienausgabe. Herausgegeben und ergänzt um Aufsätze, Primärbibliographie und Nachwort von Matthias Bormuth und Martin Vialon онлайн

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Es ist nicht leicht, aus solcher Überfülle das Eindringlichste auszuwählen – und dabei nicht das zu übersehen oder zu verschweigen, was einem heutigen Gefühl fremdartig erscheint. Als er schon ein berühmter Heiliger war und sehr krank – von Natur war er zart und eines gepflegten Lebens bedürftig11 – da aß er einmal Hühnerfleisch, das man ihm verordnet hatte. Kaum hatte er sich erholt, befahl er einem Bruder, ihn mit einem Strick um den Hals durch AssisiFranz v. Assisi zu führen und dabei fortwährend zu rufen: Hier seht den Vielfraß, der sich ohne euer Wissen mit Hühnerbraten vollgestopft hat!12 Das scheint uns fast zu viel und ist doch ein Ausfluß seiner innersten Art, eines traditionell italischen Wesens, das in seiner naiven Drastik zuerst Spott, dann bestürzte Einkehr – aber niemals Überdruß erregte. Bei aller Einfachheit scheut er sich durchaus nicht, ein auffallendes Schauspiel zu geben – oder besser gesagt, dies Szenenhafte ist seine Natur, sein Ausdruck, den er nie verleugnet. Seine Gebärden im Sprechen überstiegen durchaus das uns gewohnte Maß; selbst als er zum ersten Male vor dem Papste sprach, ergriff ihn der fervor spiritus, so daß er, «sich nicht fassend vor Freude, die Füße wie im Tanze bewegte».13 De toto corpore fecerat linguam, sagt Thomas an einer anderen Stelle, womit er freilich in einem weiteren Sinne meint, daß sein Körper durch Haltung und Art des Lebens unausgesetzt seiner Predigt diente; und er überschreibt den folgenden Absatz: Concordia utriusque hominis.14 Aber auch in jenem engeren Sinne behält es Gültigkeit, und es ist völlig das Freiheitsgefühl eines großen und meisterhaften Schauspielers, das an einer dritten Stelle beschrieben wird: wenn er vor vielen Tausenden predigte, war er so sicher wie im Gespräch mit dem vertrautesten Genossen; der riesigste Völkerhaufe erschien ihm wie ein einziger Mann.15

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