Читать книгу Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie – Studienausgabe. Herausgegeben und ergänzt um Aufsätze, Primärbibliographie und Nachwort von Matthias Bormuth und Martin Vialon онлайн

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Zum Mahl bei seinem Freunde, dem Kardinal Ugolin von OstiaUgolin v. Ostia, erscheint er mit etwas schwarzem Brot, das er sich draußen erbettelt hat, und verteilt die Brocken als eine wertvolle Gabe, angesichts des reich besetzten Tisches.28 Einem Habgierigen füllt er lächelnd die Hände mit Geldstücken, ohne zu zählen, und erschüttert durch diese einfache Geste das Gleichgewicht des Mannes für immer.29

Schließlich sei noch die unheimliche Szene bei den Schwestern von San Damiano erzählt: sie haben lange gebeten, ihn zu sehn und seine Predigt zu hören; endlich will er kommen. Er erscheint vor den versammelten Nonnen, doch kaum hat er gebetet, als er einen Kreis von Asche rings um sich streuen läßt und statt der Predigt ein lautes Miserere beginnt; dann geht er eilig davon.30

Zu dieser breiten und eklatanten Wirkung, die der Heilige der südlichen Gewalt seines Ausdrucks verdankt, tritt eine andere, ganz feine und subtile – die Wirkung, die auf der ganz unbeschreiblich leuchtenden Liebenswürdigkeit seines Auftretens beruhte. Hier ist das Wort «Liebenswürdigkeit» wirklich an seinem Platze, denn das, was man bei ihm so nennen darf, ist keineswegs der Ausfluß einer gesellschaftlichen Bildung – obgleich freilich, schwer nachzuweisen und doch unverkennbar, auch hier ältestes Gut der Tradition durchschimmert –, sondern eine wirkliche Blüte des Herzens, durch deren Glanz er nicht nur unendlich gut und groß, sondern ebensosehr persönlich reizvoll erscheint, und um derentwillen er dem geheimen Orden der Menschen von bevorzugter Bildung zugehört. So rätselhaft in seinen Ursprüngen und so unbeabsichtigt dieses Wesen auch sein mag – der Heilige, Sohn eines Tuchmachers in einer Kleinstadt, ohne literarische Bildung und ohne Beziehung zu den damaligen Schauplätzen edler Sitte, ähnelt zuweilen in seiner trotz aller Leidenschaftlichkeit überwältigend formvollen, die geheimsten Instinkte des anderen erspürenden Art, einem schon fast überempfindlichen, mit überfeinen Sinnen begabten Abkömmling eines erlauchten Geschlechts. Ohne Zweifel hat Thomas von CelanoThomas v. Celano recht, wenn er seine Liebenswürdigkeit aus seiner Demut herleitet,31 aber nicht jeder Demütige wäre imstande, seiner Gesinnung solchen Ausdruck zu verleihen.

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