Читать книгу Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie – Studienausgabe. Herausgegeben und ergänzt um Aufsätze, Primärbibliographie und Nachwort von Matthias Bormuth und Martin Vialon онлайн

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In CicerosCicero häufiger und überaus geschmeidiger Verwendung des Wortes sind alle Abwandlungen des Gestaltbegriffs vertreten, die die politische, die publizistisch-rhetorische, die juristische und die philosophische Tätigkeit ihm nahebrachten; auch seine liebenswürdige, erregbare und unscharfe Menschlichkeit läßt sich aus ihr ablesen. Oft braucht er es vom Menschen, manchmal mit pathetischem Ton: portentum atque monstrum certissimum est, esse aliquem humana specie et figura, qui tantum immanitate bestias vicerit, ut …, heißt es pro S. Roscio 63, und tacita corporis figura ist pro Q. Roscio 20 die stumme Gestalt, deren Aussehen schon den Schurken verrät. Auch die Glieder und die inneren Organe, die Tiere, Geräte, Sterne, kurz alles Sinnliche hat figura, auch die Götter und das Universum im ganzen; das sinnlich Erscheinende, ja Scheinende des griechischen σχῆμασχῆμα kommt gut heraus, wenn er vom Tyrannen sagt, er habe nur die figura hominis, und von unsinnlichen Gottesvorstellungen, sie seien ohne figura und sensussensus. Selten sind klare Abgrenzungen gegen formaforma (z. B. de nat. Deor. 1, 90, vgl. oben Anm. 7), und der Gebrauch von beiden ist nicht auf das Optische und Plastische beschränkt; er spricht von der figura vocis, ja von einer figura negotii und sehr oft von den figurae dicendi. Natürlich besitzen auch die geometrischen und stereometrischen Gebilde eine figurafigura. Dagegen ist figura als Abbild bei ihm noch kaum entwickelt. Zwar ist de nat. Deor. 1, 71 davon die Rede, daß Cotta, einer der Unterredner, den Ausdruck quasi corpus der Götter eher verstehen könnte, si in cereis fingeretur auf fictilibus figuris, und de Div. 1, 23 handelt es sich um die figura eines Felsstücks, die einem kleinen Pan nicht unähnlich sein soll. Aber das genügt nicht, denn es ist eben die figura des Tones und des Steines, nicht die des Dargestellten, von der gesprochen wird.10 Die sich vom Körper ablösenden Schemen DemokritsDemokrit, von denen bei LucrezLukrez die Rede war, nennt er imagines (a corporibus enim solidis et a certis figuris vult fluere imagines Democritus. De Div. 2, 137),11 und die Götterbilder heißen bei ihm zumeist signa, nie figurae. Man kann als Beispiel dafür den bösen Witz gegen Verres 3, 89 anführen: Verres wollte in einer sizilischen Stadt ein kostbares Götterstandbild rauben, verliebte sich aber in die Frau seines Wirtes: contemnere etiam signum illud Himerae jam videbatur quod eum multo magis figura et lineamenta hospitae delectabant.12 Von so kühnen Neuerungen wie den lucrezischen Grundelementen ist vollends nichts zu finden, und so zeigt sich, daß CicerosCicero Beitrag vor allem in der Einführung, Anpassung und Nutzbarmachung des sinnlichen Gestaltbegriffs figurafigura für die Sprache der Gebildeten bestanden hat. Er hat es hauptsächlich in den philosophischen und rhetorischen Schriften verwendet, am häufigsten in der Schrift über das Wesen der Götter, und er hat sich dabei um etwas bemüht, was wir heute einen ganzheitlichen Gestaltbegriff nennen würden. Es ist nicht nur sein bekanntes Streben nach rednerischer Fülle, wenn er sich selten mit figura allein begnügt, sondern mehrere ähnliche, auf den Ausdruck eines Ganzen gerichtete Worte häuft: forma et figura, conformatio quaedam et figura totius oris et corporis, habitus et figura, humana species et figura, vis et figura, und vieles in dieser Art. Sein Streben nach einer Gesamtauffassung der Erscheinungen ist unverkennbar, und es mag sich davon auch etwas dem römischen Leser mitgeteilt haben. Zu einer energischen Begründung und Formulierung solchen Gestaltbegriffs befähigten ihn freilich weder sein Talent noch seine eklektische Haltung, und so bleibt sein Bemühen unscharf; man muß sich mit dem Vergnügen an der Fülle und der Ausgewogenheit der Worte begnügen. Noch wichtiger für die weitere Entwicklung von figurafigura ist etwas anderes: bei CiceroCicero und bei dem Auctor ad HerenniumAuctor ad Herennium findet es sich zum ersten Male als technischer Ausdruck der RhetorikRhetorik, und zwar für die σχῆματα oder χαραϰτῆρες λέξεως, die drei Höhenlagen des Stils, die ad Her. 4, 8, 11 als figura gravis, mediocrisfigurafigura gravis, mediocris, tenuis und attenuata, de or. 3, 199 und 212 als plena, mediocris und tenuis bezeichnet werden. Dagegen benutzt CiceroCicero (wie VetterVetter, E., der Verfasser des Artikels figura im ThLL, dort 731, 80f. ausdrücklich bemerkt) das Wort noch nicht als Fachausdruck für die umschreibenden und schmückenden, die eigentlich «figürlichen» Redeweisen. Diese kennt und beschreibt er ausführlich, aber er nennt sie noch nicht, wie die Späteren, figurae, sondern zumeist formae et lumina orationis, also auch hier pleonastisch. Übrigens braucht er den Ausdruck figura dicendi – meist forma et figura dicendi – auch häufig ohne genaue fachliche Festlegung, einfach als Art und Weise der Beredsamkeit; sowohl allgemein, wenn er ausdrücken will, es gebe unzählige Arten derselben (de or. 3, 34), als auch individuell, wo er von Curio sagt: suam quandam expressit formam figuramque dicendi (ib. 2, 98): so daß die Studenten in den Rhetorenschulen, für die Ciceros Schriften über die Beredsamkeit bald als Kanon galten, sich an diese Zusammenstellung gewöhnten.

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