Читать книгу Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie – Studienausgabe. Herausgegeben und ergänzt um Aufsätze, Primärbibliographie und Nachwort von Matthias Bormuth und Martin Vialon онлайн

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Diese Geschichte beginnt für uns mit der Graezisierung der römischen Bildung im letzten vorchristlichen Jahrhundert, und an ihren Anfängen haben drei Schriftsteller entscheidenden Anteil: VarroVarro, LucrezLukrez und CiceroCicero. Freilich können wir nicht mehr genau bestimmen, was sie aus dem verlorenen früheren Bestande übernommen haben; allein der Beitrag von LucrezLukrez und von CiceroCicero ist so eigentümlich und jeweils so selbständig, daß man ihnen ein hohes Maß von eigener Bedeutungsschöpfung zutrauen muß.

VarroVarro besitzt solche Selbständigkeit am wenigsten. Daß bei ihm figurafigura zuweilen «äußere Erscheinung», ja «Umriß» heißt,3 also sich von seinem Ursprung, dem engeren Begriff des plastischen Gebildes, loszulösen beginnt, scheint ein allgemeiner Vorgang gewesen zu sein, auf dessen Ursachen wir noch zurückkommen. Bei Varro ist diese Entwicklung nicht einmal sehr ausgeprägt. Er ist Etymologe, der Ursprung des Wortes ist ihm bewußt (fictor cum dicit fingo figuram imponit, de ling. lat. 6, 78), und so enthält das Wort, wo er es von Lebewesen und Gegenständen gebraucht, zumeist eine plastische Vorstellung. Wie weit sie noch wirksam war, ist zuweilen schwer zu entscheiden; so etwa, wenn er sagt, daß man beim Kauf von Sklaven nicht nur die figura berücksichtige, sondern auch die Eigenschaften, wie bei Pferden das Alter, bei Hähnen den Zuchtwert, bei Äpfeln das Aroma (ib. 9,93); oder wenn er von einem Stern sagt, er habe colorem, magnitudinem, figuram, cursum verändert (Zitat bei AugustinAugustinus, de civ. Dei 21, 8); oder wenn er de ling. lat. 5, 17 gegabelte Palisadenpfähle mit der figura des Buchstabens V vergleicht. Ganz unplastisch wird es, sobald von Wortformen die Rede ist. Wir haben, so etwa sagt er de ling. lat. 9, 21, von den Griechen neue Formen der Gefäße übernommen; warum wehre man sich gegen neue Wortformen, formae vocabulorum, als seien sie giftig? Et tantum inter duos sensus interesse volunt, ut oculis semper aliquas figuras supellectilis novas conquirant, contra auris expertes velint esse? Hier liegt der Gedanke, daß es auch für den GehörssinnSensuslehre Figuren gebe, schon sehr nahe; zudem muß man wissen, daß Varro, wie übrigens alle lateinischen Autoren, die nicht als philosophische Spezialisten eine genaue Terminologie besitzen, figurafigura und formaforma im allgemeinen Gestaltsinn unbedenklich durcheinander verwenden. Eigentlich heißt forma «Gußform», französisch moule, und steht also zu figura in dem Verhältnis der Hohlform zu dem aus ihm hervorgehenden plastischen Gebilde; doch ist bei Varro nur selten etwas davon zu spüren, allenfalls vielleicht in dem Fragment bei GelliusGellius 111, 10, 7: semen genitale fit ad capiendam figuram idoneum.

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