Читать книгу Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands онлайн

68 страница из 96

Wir bemerkten schon vorhin, daß die Lyrik, als die spezifisch subjektive Poesie, sich von den Massen auf die Individuen zurückzog und natürlicherweise, namentlich im Minnegesange, eine kunstreichere Form annahm. Doch darf man sich hier die Kluft noch keineswegs so bedeutend denken, wie sie etwa in neuerer Zeit die sogenannten Gebildeten vom sogenannten Volke scheidet. Der Adel teilte noch immer das tiefe Naturgefühl des Volkes und stand im Wissen nur wenig über demselben; Wolfram von Eschenbach selbst konnte weder lesen noch schreiben. Daher sind diese ritterlichen Minnelieder noch ganz frei von aller gelehrten Prätention und Pedanterie, und wurden nicht, wie die späteren Kunstgedichte, deklamiert, »gesagt«, oder gar aufgeschrieben, sondern stets, wie das Volkslied, gesungen; und wer nicht selbst singen konnte, hielt sich sein »Singerlein«, einen Knaben oder Jüngling, der die Weise der Geliebten vorsingen mußte. Und welch ein überreicher Frühling mußte das sein, der so plötzlich ganz Deutschland von einem Ende zum andern durchklungen, da wir, ungeachtet so vieles verlorengegangen, dennoch Lieder von hundertsechzig Minnesängern besitzen. Gleichwie aber die Nachtigallen sich gern und dankbar in schattenreichen Gärten niederlassen, wo ihnen liebreicher Schutz und Pflege geboten wird, so gruppierten sich auch diese Sänger sehr bald um die kleineren deutschen Höfe, unter denen besonders der des thüringischen Landgrafen Hermann und die babenbergischen Herzoge von Österreich durch ihre Kunstliebe und ungemessene Gastfreiheit gegen die Dichter sich unsterblich gemacht haben. Wie rein aber die Saiten dieser Sänger gestimmt sein mußten, zeigt schon der Umstand, daß damals die heilige Elisabeth an der Seite ihres Gemahls zu Eisenach Hof hielt, wo sie von den Flügeln dieses melodischen Gesanges zur göttlichen Minne emporgehoben ward und schwerlich einen störenden Mißklang geduldet hätte.

Правообладателям