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Und mit dieser Klage wollen wir von jenem lieblichen Reich der Liederträume Abschied nehmen. Der Frühling ist längst verrauscht, und ein scharfer trockener Herbstwind streift über das verwandelte Land. Aber wem erwecken solche ferne Klänge, wie das Alphorn dem Schweizer, nicht noch heut ein wunderbares Heimweh nach seiner stillen harmlosen Jugendzeit, deren Erinnerung in jedem gesunden Herzen unvergänglich ist.

Die Poesie hat, wie jedes geistige Leben, ihren notwendigen Entwickelungsprozeß, der sich, weil er der natürliche ist, bei allen Völkern wiederholt. Die erste jugendlich frische, fast noch kindliche Anschauung der Welt erzeugt das Epos. Diese Anschauung, je lebendiger sie ist, weckt indes sehr bald ein nach den verschiedenen Individualitäten verschiedenes Interesse und Mitgefühl an dem großen Sagenstoff; die Poesie wird eine mehr innerliche und wesentlich lyrisch. Eine solche bloß experimentale und vorbereitende Trennung der beiden ursprünglichen Grundelemente aller Poesie kann aber nirgend von Dauer sein und strebt unablässig nach Wiederversöhnung. Und diese Vermittelung ist eben das Wesen des Dramas, wo das lyrisch Subjektive, ohne sich selbst aufzugeben, in der darzustellenden Handlung wiederum objektiv wird. Man begreift hiernach leicht, daß schon das bloße Bedürfnis solcher Vermittelung einen höheren Grad, wir möchten nicht sagen, menschlicher Bildung, sondern künstlerischer Ausbildung und Reife voraussetzt als jene Vorbereitungszeit. Daher erscheint auch das Drama, gewissermaßen Epos und Lyrik in ein Ganzes zusammenfassend, überall zuletzt. Daher hat das Mittelalter eigentlich noch gar kein Drama; wohl aber schlummern in diesem großen Völkerfrühlinge schon alle verhüllten Keime dazu, welche bei den Völkern des Abendlandes das Christentum allmählich ins Leben rief, nachdem die Alten ihren künstlerischen Zyklus geschlossen hatten, und das klassische Drama in der allgemeinen Fäulnis längst in sich selbst zerfallen war.

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