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So waren denn also auch auf diesem Gebiet schon früher die Fundamente zu einem kühnen Münsterbau gelegt, der alle mannigfaltigen Erscheinungen des Lebens symbolisch erfassen und sehnsüchtig bis zum Kreuze emporranken sollte. Allein der Bau blieb unvollendet, wie die meisten Münster. Nur in dem tiefernsten Spanien, das bis in die neuere Zeit für seinen Glauben ritterlich gefochten, hat das Mysterium in Calderons Autos seine künstlerische Vollendung und Verklärung erlebt. Warum es aber in Deutschland sich nicht ebenso naturgemäß fortentwickeln konnte, sondern mit seinem ersten, fast rätselhaften Rohbau abschloß, werden wir weiterhin Gelegenheit genug finden, näher nachzuweisen.

IV Weltliche Richtung

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Wir verließen oben bei Wolfram von Eschenbach das Epos auf einer Höhe, wie sie in aller Literatur nur selten erreicht wird. Sein Parzival ist durchaus eine tiefsinnige Symbolik der christlichen Lebensansicht. Allein wir stoßen in diesem Gedicht zugleich auch häufig auf eine geharnischte Entrüstung des Dichters, auf bitteren Spott und herbe Ironie, die schon auf bedenkliche Symptome der Zeit und auf einen scharfen Gegensatz des Dichtergemüts mit der Wirklichkeit hindeutet. Zwar hat der ernste Ton, den Wolfram angeschlagen, als der bei weitem noch volksmäßigste, lange und unter allen damaligen Dichtweisen am dauerndsten nachgeklungen; zahllose Fortsetzer und Nachahmer quälten sich ab, ihn fortzuspinnen, und was allgemein gelten wollte, suchte unter Wolframs Schild, ja womöglich unter seinem Namen sich in der Welt einzuführen. Aber es ist seit dem Sündenfalle in der menschlichen Natur ein furchtbarer Zwiespalt, dessen Wiederversöhnung eben die große Aufgabe des Christentums ist. Es geht durch die ganze Geschichte, neben der unabweisbaren Sehnsucht nach Erlösung, eine Opposition des menschlichen Trotzes und Hochmuts, ein uralter, mehr oder minder verhüllter Protestantismus, der selbst und aus eigener Kraft und Machtvollkommenheit das Erlösungswerk zu übernehmen sich vermißt. Er versucht sich in den verzweifelten Anstrengungen der Waldenser und floriert in dem welthistorischen Kampfe der Hohenstaufen mit der Kirche. Es ist natürlich, dieser Geist mußte auch in der Poesie sich abspiegeln, und der mit Wolfram gleichzeitige Gottfried von Straßburg ist der Führer und Meisterdieser antikirchlichen Kunst.

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