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In seinem berühmten Gedichte Tristan und Isolde kehrt er gradezu den Parzival um, mit offenbar feindseliger Absichtlichkeit geschäftig, den hehren Bau, den Wolfram aufgeführt, zu untergraben und niederzureißen, um über dem Schutte zwischen prächtigen Giftblumen für die irdische Genußseligkeit der emanzipierten menschlichen Natur einen bequem gemütlichen Lustgarten anzulegen. Wir sind weit davon entfernt, die Poesie mit unzeitigem Rigorismus einzig nach der kurzen moralischen Elle messen zu wollen; allein hier handelt es sich nicht mehr um Moral, sondern um Vernichtung von Religion, Tugend, Ehre und allem, was das Leben groß und edel macht. Hier wird zum erstenmal das, in allen späteren Romanen bis zum Ekel wiederholte, Dogma von der unbedingten Geschlechtsliebe verkündigt, welcher alles andere untertänig weichen und die ganze Welt nur zu würdigem Aufputz und Zierat dienen soll. Ja, der Dichter sagt: »Das Weib, das aus dieser Art schlägt und die gerne Lob und Ehre bewahrt, sei ein Mann an Gesinnung und nur mit Namen ein Weib.« Und wahrlich, die Heldin Isolde ist nicht aus dieser Art geschlagen und wird daher auch als ein Muster der Weiblichkeit aufgestellt. Der Stoff des Gedichtes ist durchaus gemein: die Verführungsgeschichte einer verheirateten Frau, die gern Lob und Ehre und Seele ihrer ehebrecherischen Liebesbrunst opfert; ein artiger, sich vor den Damen niedlich machender Fant, wie wir ihm wohl allezeit unter den eleganten Pariser Pflastertretern begegnen, der sich in seiner liebenswürdigen Flatterhaftigkeit zuletzt noch gar in eine zweite Isolde verliebt; und endlich ein schwacher Ehemann, der nicht bloß gefoppt, sondern auf das schändlichste verraten und betrogen wird und welcher am Ende noch alle Schuld allein tragen soll, weil er sich unterstanden hat, sein tolles Weib zu hüten und in ihren sauberen Kunststücken zu stören. Überhaupt aber muß man dem Dichter nachrühmen, daß er mit wahrhaft dämonischer Konsequenz alles jenem Dogma von der alleinseligmachenden Geschlechtsliebe beugt und unterordnet und auf diese Weise in moralischer Beziehung eine vollkommen verkehrte Welt zutage bringt. Da wird verräterische List und Betrug als Kardinaltugend belobt, das gewissenlose Beharren bei der Sünde heißt Treue, und die Treue der Hofleute, die es mit dem betrogenen Ehemanne gut und ehrlich meinen, wird als Untreue gebrandmarkt; ja der freigeisterische Dichter scheut sich nicht, mit der Heiligkeit des Eides und des Gebetes frevelhaften Spott zu treiben. Isolde hat nämlich, um die ihr zuerkannte Feuerprobe des Gottesgerichts für sich unschädlich zu machen, eine List erfunden, »die ihr in Not und Gebet und Fasten der gnädige Christ eingegeben«. Nun schwört sie, in »göttlicher Andacht« betend, keck den falschen Eid und faßt dann unversehrt das glühende Eisen an – »da ward es offenbar, daß der viel tugendhafte Christ viel schlaffer wie ein Ärmel ist, er ist allen Herzen bereit, zum Guten und zum Betrug, sei es Ernst, sei es Spiel, er ist ja, so wie man will.« – Und eine solche gleißende und funkelnde Kette von Abscheulichkeiten wird nicht etwa mit verhüllter Ironie vor uns aufgerollt, sondern unbefangen und scheinbar harmlos, als ob sich das alles eben so ganz von selbst verstünde. Wie schade um so viel Schönheit, die hier an das absolut Häßliche verschwendet ist, um diese scharfe und tief wahre Charakteristik des Lasters, um so viel bewundernswerte Gewandtheit und Anmut, die, wie ein lieblicher Strom, alles in ihre melodischen Zauberwirbel hinabzieht!

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