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Es ist bekannt, daß diese fragmentarische, nur noch in einzeln abgerissenen Klängen nachhallende Poesie auch größtenteils formlos des Schmucks der Verse entbehrt. So macht sie den fast wehmütigen Eindruck von Trümmern einer untergegangenen Welt, die in der Waldeinsamkeit längst vergessen sind, die aber der ursprüngliche Boden, als wollte er nicht von ihnen scheiden, mit Efeu und wilden Blumen mannigfach umschlungen und überrankt hat. Das Volk träumt hier zum letzten Male von der alten Herrlichkeit, von der das Rauschen der Wipfel, die Waldvögel und Quellen den einsamen Hirten und Jägern noch immer Wunderdinge erzählen.

Diese Volkspoesie hat aber auch ihre Kehrseite. Die gleichzeitige Strömung des Urprotestantismus, die, wie wir gesehen, die oberen Regionen der Gesellschaft durchdrang und erkältete, mußte natürlicherweise in ihrem Fortgange auch die unteren Volksschichten berühren und um so reißender und geräuschvoller werden, je tiefer sie hinabkam. Es war hier allerdings im Anfange nur noch die frische, kecke Lust an der Negation und Neuerung, die sich ebenso natürlich zuerst gegen das Positivste und Konservativste im Leben, gegen die Kirche, kehrte. Wir sehen daher nur einige alte Gesellen, die wohl schon früher ziemlich unschuldig rumorten, plötzlich als entschiedene Lieblinge in der Volksgunst hervortreten. So: Morolf (den das Volk in Marcolph umtaufte), dann der Pfaffe Amis, und der Pfaff vom Kalenberg. In »Frag und Antwort König Salomonis und Marcolphi« zieht der Bauernwitz zunächst erst gegen die geistliche Schulweisheit zu Felde. König Salomon setzt vom Throne mit salbungsvoller Feierlichkeit alle seine weisen Sprüche dem Marcolph und seinem Weibe auseinander, welche dann sogleich jeden Spruch in ihrem Volksidiom parodisch verarbeiten. Über Geist und Ton dieses ergötzlichen Dialogs mag das plastische Signalement des tölpischen Gesellen vielleicht die kürzeste und getreueste Auskunft geben. »Und die Person Marcolphi war kurz, dick und grob, und hat ein groß Haupt und eine preite Stirn, rot gerunzelte haarige Ohren, hängende Wangen, groß fließente Augen, der untere Lebs als ein Kalbslebs, ein stinkenden Bart, als ein Bock, plochent Händ, kurze Finger und dicke Füß, ein spitze hagerte Nasen und groß Lebsen, ein eselich Angesicht, Haar als ein Igel usw.« Man sieht, das Volk war in seiner Lustigkeit noch weit entfernt, seinen eigenen Anwalt zu verschonen. – Bedenklicher schon verhält es sich mit den beiden Pfaffen: Amis und vom Kalenberg. Nicht darum, weil hier derber Scherz und Schwank neben dem Heiligen und Kirchlichen ihr keckes Spiel treiben; denn wir sahen dieselbe Erscheinung auch in den dramatischen Mysterien, wo der unbefangene und seiner selbst noch sichere Glaube nicht den geringsten Anstoß daran nahm. Aber unangenehm auffallen muß es, daß hier alle erdenklichen Schelmenstreiche und Lächerlichkeiten mit einer gewissen Schadenfreude grade den Priestern, wie eine Narrenjacke, angehängt werden; ja, wenn wir genauer zusehen, finden wir hier bereits die rohen Fundamente gelegt zum künftigen Aufklärungspalais. Es erinnert wenigstens schon sehr lebhaft an Tartüff, an die spätere Jesuitenriecherei und alle die wohlfeile Weltweisheit, womit seitdem der Unglaube sich zu rechtfertigen und zu beschönigen sucht, wenn z.B. der Pfaffe Amis eine reiche und alberne Gutsbesitzerin, da ihr Mann eben nicht zu Hause ist, durch Scheinheiligkeit um ein Stück feiner Leinwand betrügt und dann bei dreißig Lichtern, die er um sich stellt, herrlich die Mette und eine Messe dazu singt und solchen Ablaß erteilt, daß der, welcher nach dem Ablaß auch den stärksten Appetit hatte, daran Genüge gehabt hätte: alle Sünden, die getan waren und noch getan werden sollten und wollten durch das ganze Leben, die wurden von dem Pfaffen alle vergeben.

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