Читать книгу Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands онлайн

88 страница из 96

Aber wer hinkt, greift nach der Krücke; wo die Moral zu Ende geht, fängt das Moralisieren an. Und so folgt auch hier auf die invaliden Minnesänger die Gruppe der gnomischen Dichter, eine Erscheinung, die sich auch bei einzelnen Dichterindividuen wiederholt, wie z.B. bei Goethe, dessen wunderbares Lied zuletzt ebenfalls in Gnomologie ausgeht. Man könnte diesen Übergang die altgewordene Lyrik nennen: grämlich, superklug, grübelnd und lehrhaft in epigrammatischen Spitzen und Sprüchen, weil der innere Lebenshauch zu langatmigen Liedern nicht mehr ausreicht. Bei der versiegenden Produktionskraft lehnen sich nun jene Dichter begreiflicherweise immer mehr an die großen Vorgänger, und zwar vorzüglich an das Realistische Walthers von der Vogelweide, aber ohne dessen herzlichen Klang, und an den Ernst des Wolfram von Eschenbach, aber ohne dessen Tiefsinn; beides jedoch keineswegs entschieden getrennt, sondern wiederum verworren ineinanderlaufend, was oft die seltsamste Mischung von Dogma, Moral, Schwank und ritterlicher Konvenienz gibt. Hierher gehören u.a. Reimar von Zweter, der bei aller Frömmigkeit gleichwohl gegen Papst und Kirche polemisiert, der ältere Meißner, Wernher und Marner. Am schärfsten aber wird die Walthersche Richtung durch den heiteren Regenbogen sowie die Wolframsche durch den mysthischen Frauenlob bezeichnet. Die letzten Rittersänger, wie Hugo von Montfort und Oswald von Wolkenstein, schlagen schon einfache volkstümliche Klänge an, während bürgerliche Dichter noch überkünstlich in den alten Minnegesang hineinpfuschen, z.B. Muskatblüt, der noch wirkliche Minnelieder hat, noch an den Herrenhöfen sang und die abenteuerlichsten Marienlieder dichtete. Ja, diese allgemeine Unruhe und Ratlosigkeit zeigt sich selbst in der rastlosen phantastischen Reisewut dieser Epigonen, die nicht mehr singend von Schloß zu Schlosse, sondern, wie mit Siebenmeilenstiefeln, von Weltteil zu Weltteil schweifen. So erblicken wir den Hugo von Montfort bald als Troßbube mit den deutschen Rittern in Preußen, bald in Rußland, Norwegen, England und Schottland, dann als Koch und Ruderknecht auf dem Schwarzen Meer, als Pilger in Jerusalem, als Sänger und Possenspieler am Hofe des maurischen Königs von Granada und in Paris, wo ihm die Königin von Frankreich einen kostbaren Diamanten in seinen weißen Bart einband.

Правообладателям