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Schon früher hatten die Reimchroniken hart und mühsam die schwerfälligen Fundamente zu der Übergangsbrücke gelegt, welche dann von den Volksbüchern, die wir in anderer Beziehung schon oben erwähnt, anmutig überbaut und vollendet wurde, indem sie die alten Gedichte für das neue Bedürfnis in Prosa auflösten. Wir müssen hier noch immer die unzerstörbare Gewalt des Inhalts bewundern, können aber nur bedauern, daß die schöne Form zertrümmert ward. Wie aber auf diesem tonlosen Wege die poetische Prosa zuletzt unvermeidlich bei der völlig prosaischen Poesie anlangen mußte, bezeugt am deutlichsten der Weißkunig, ein gleich dem Theuerdank vom Kaiser Maximilian I. entworfenes Geschichtswerk, das mit allegorischer Dichterprätention die Regierung dieses Kaisers sowie Kaiser Friedrichs III. verschnörkelt und hölzern schildert.

Den letzten und nicht geringsten Stoß nach der Prosa hin gab endlich auch die Erfindung der Buchdruckerkunst, indem nun gar an die Stelle des lebendigen Worts der Buchstabe, in die Stelle des persönlichen mimischen Sprechers der einsame Leser trat. Das gedruckte Buch hat, wie der Rechenknecht für das Gedächtnis, für den Geist überhaupt etwas Mumienhaftes, Stationäres und Abgemachtes, worauf sich zu jeder Zeit bequem ausruhen läßt, während die lebendige Tradition, solange sie wirklich lebendig, notwendig in einer beständigen Fortbildung begriffen ist. Durch den Druck ist aber in der Tat die ganze Literatur ein Buch geworden, in welchem jeder nach Belieben blättern mag und daraus ein allgemeiner Dilettantismus der Produzenten wie der Konsumenten entstanden. Ehedem dichtete der Sänger für eine gewisse ideale Totalität seiner Nation, oder auch für einen bestimmten Kreis spruchfähiger Freunde und Gönner, und war in beiden Fällen des Verständnisses und geistigen Widerhalls gewiß; ganz abgesehen davon, daß bei der Kostbarkeit und zeitraubenden Mühe einer Vervielfältigung der Gedichte in der Regel nur das Beste sich erhalten und vererben konnte. Jetzt dagegen bringt jeder Phantast – das Volk sagt treffend: »er lügt wie gedruckt« – seine wohlfeile Weisheit auf den großen Plundermarkt, wo Perlen und Kraut und Rüben durcheinanderliegen und ein jeder nach seines Herzens Gelüsten aufs Geratewohl zugreifen kann. Eine erstaunliche Konfusion, die noch bis heut fortzuwachsen scheint; die Köchin liest beim Messerabwischen ihre »Jungfrau von Orleans«, die Dame ihre »Mimili«. Eine maßlose Konkurrenz mag für alles Fabrikwesen ganz dienlich sein; hier führt sie selbst zur Fabrikation. Der arme Poet, wenn er wenigstens auf ein Dezennium unsterblich werden will, muß unausgesetzt seine Rivalen in der Gunst der chaotischen Menge durch immer neue Knalleffekte auszustechen suchen; und so erzeugt sich fortwährend ein ekelhaft zärtliches Verhältnis und Liebäugeln zwischen Dichterpöbel und Lesepöbel. Nun ist allerdings die Poesie nie und nirgends ausschließliche Sache der Aristokraten, der Gelehrten oder sonst einer Kaste, und wo sie es eine Zeitlang wirklich war, ist sie auch jedesmal schmählich zugrunde gegangen. Aber ebenso verderblich ist jene kommunistische Rebellion gegen die hohe Aristokratie, den Geburtsadel des Genies, der nun einmal auf diesem Gebiet von Gottes Gnaden souverän ist. Denn selbst das freie Volkslied wird nicht von der wüsten Menge, sondern von einzelnen berufenen Hirten und Jägern auf einsamer Alp oder vom Liebenden oder jauchzenden Tänzer und Zecher in glücklicher Stunde weniger erfunden, als vielmehr nur der durchs ganze Volk gehende Klang von Freud und Leid gefunden; und nur in diesem Sinne ist es wahr, daß das Volk dichte.

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