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Diese Entartung des Minnegesanges aber war nicht geeignet, die Lyrik in der Höhe und allgemeinen Achtung zu erhalten die sie so lange behauptet hatte. Das Dichten hörte auf, eine freie ritterliche Kunst zu sein, und wurde ein besonderes Metier, das Lied war nicht mehr singbar, der Dichter nicht mehr ein Sänger, sondern ein »Sprecher«. Sehr natürlich daher, daß diese Poeten, wie sie so häufig klagen, nun als Bänkelsänger an den Höfen »hinausgeworfen« wurden und sich immer mehr zu den Städten wandten, von deren realistischem Zunftgeist die wachsende Opposition gegen das Rittertum ausging.

Im Epos geht das Subjektive im Objekt, in der Lyrik das Objekt in der subjektiven Empfindung auf. Dort verschwindet der Dichter, die Ereignisse sprechen, wie in der Geschichte, für sich selbst; hier wird der Dichter zum alleinigen Sprecher, indem er uns nur den Nachhall gibt, den das Ereignis in seinem Herzen geweckt. Das Drama dagegen ist, wie wir schon oben angedeutet, die Durchdringung und Wiederversöhnung beider getrennten Elemente; eine Vereinigung, die jederzeit erst spät und nur dann mit Erfolg versucht wird, wenn beide Elemente selbständig ausgebildet und stark genug geworden, um sich aneinander messen zu können. Das Objekt ist hier entweder die Sage und historische Vergangenheit oder die unmittelbare Gegenwart oder der Konflikt der letzteren mit der jedem Zeitalter eigentümlichen idealen Gedankenwelt, wonach das Drama sich in Lustspiel, Schauspiel oder Tragödie verteilt. In allen diesen Verzweigungen aber wird Auffassung und Darstellung notwendig den subjektiven Farbenton des Dichters annehmen und, da der Dichter, er stelle sich, wie er wolle, selbst in seinen Idealen, immerdar ein Kind seiner Zeit bleibt, zu gleich in dem jedesmaligen besonderen Schliff des Zeitgeistes sich abspiegeln. Daher gibt das Drama, wo es sich wahrhaft volksmäßig ausgebildet hat, unter allen Dichtungsarten die schärfste Signatur der wechselnden Bildung, Gesinnung und Sitte einer Nation; daher erscheinen dieselben dramatischen Gegenstände verschieden in den verschiedenen Zeiten und Völkern, und die Jungfrau von Orleans, die bei Shakespeare eine Hexe ist, fährt bei Schiller visionär auf romantischem Gewölke gen Himmel.

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