Читать книгу Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands онлайн

74 страница из 96

Und so ist denn diese große Welttragödie auch wirklich der Ausgangspunkt und erste Gegenstand unseres Dramas; ja die Kirche selbst vermittelte den Übergang. Es ist bekannt und von anderen bereits hinreichend nachgewiesen, wie dramatisch bald im Anfange der christliche Gottesdienst sich gestaltete. Die ganze christliche Weltansicht von Erschaffung der Welt bis zu Christus war durch korrespondierende Wechselgesänge und mimisch-plastische Darstellungen schon in der zwölfstündigen Urliturgie angedeutet, deren tiefe Symbolik, in ihre Hauptzüge zusammengedrängt, uns noch bis heute in dem heiligen Meßopfer aufbewahrt ist. Fast ebenso alt war die Sitte, während der Passionszeit die Leidensgeschichte Christi in der Kirche aus den Evangelien vorzulesen, wobei die Reden Christi von dem Priester, dagegen die Reden der Apostel, des Herodes, des Pilatus, der Hohenpriester und des jüdischen Volkes von verschiedenen Personen vorgetragen wurden. Es ist aber natürlich, daß man hierbei in den Text der Evangelien, teils zur Erläuterung, teils zur Verstärkung des Eindrucks, sehr bald Versifikation, kirchliche Traditionen, ja sogar Rezitative und einzelne Gesangstücke mit einwob, während schon im 12. Jahrhundert ein Kostüm der Vortragenden und höchstwahrscheinlich auch eine Art von Aktion hinzukam. Auch diese Anfänge aber nahmen in nächster Folge denselben Gang, den wir oben bei der Legende bemerkten. Erst war Christus, seine Geburt, sein Wandel, sein Leiden und sein Sieg der einzige Gegenstand und alles streng an die Evangelien angeschlossen; später aber wurden allmählich auch einzelne Momente und Gestalten des großen Weltdramas, wie die Jungfrau Maria, die Heiligen und Märtyrer, zum Gegenstande eigener Darstellungen gemacht. So entstanden die ersten christlichen Dramen, die Mysterien; und aus ihnen – da die Aufgabe, das Übersinnliche darzustellen, nur annähernd und sinnbildlich gelöst werden kann – die wesentlich allegorischen Moralitäten, wo Feld und Wald, die einzelnen Seelenkräfte, die biblischen Gedanken, ja der Gedanke selbst, neben historischen Personen, wie eine wunderbare Hieroglyphenschrift, redend und handelnd auftraten. Und so lebenskräftig und unversehrt war damals noch der Glaube, daß es keineswegs zu Ärgernis und Störung, sondern durch den Gegensatz vielmehr nur zur Verstärkung des Eindrucks gereichte, als nach und nach auch derbe Scherze und komische Zwischenspiele eingeschoben wurden, in denen besonders ein Marktschreier, der an die zum Grabe wallenden Frauen Salben und Spezereien verkauft, und der um die falschen Silberlinge schachernde Judas die Lieblingsrollen übernehmen mußten.

Правообладателям