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2.2 Gelebte Utopie
Die nachfolgend beispielhaft erläuterten Utopien sind Ergebnisse menschlicher Kreativität, die von der Suche nach einem besseren Leben für die Menschen einer bestimmten Gruppe getrieben werden (vgl. Maahs 2019, S. 235).
Zunächst kann auf existierende Kommunen, Kibbuze und Ökodörfer verwiesen werden, deren Bewohnerinnen und Bewohner anders leben, arbeiten und wirtschaften als der Mainstream und die damit tatsächlich eine gesellschaftliche Alternative darstellen. Diese Lebensgemeinschaften bleiben in der Regel wenig beachtet von der Allgemeinheit und streben umgekehrt auch keine gesamtgesellschaftlichen Veränderungen und Utopien an. Politische Organisationen wie Occupy und Attac hingegen treten bewusst an die Öffentlichkeit, bezwecken eine gesamtwirtschaftliche Utopie und kreieren mit ihren Protestcamps Alternativorte inmitten der Gesellschaft (vgl. ebd., S. 236). Ein weiteres eindrückliches Beispiel ist die Bewegung Operation Libero.
Operation Libero formierte sich am 14. Februar 2015, fünf Tage nach Annahme der Masseneinwanderungsinitiative[2], um sicherzustellen, «dass die Zivilgesellschaft nie wieder eine derartige Abstimmung verschlafen würde» (Grassegger 2016). Mitte Oktober 2015 schien der Moment gekommen, um aktiv zu werden. Die Abstimmung zur Durchsetzungsinitiative stand bevor. Mit der Durchsetzungsinitiative sollte ein langer Katalog von direkt anwendbaren, detaillierten Bestimmungen zur Ausschaffung von straffällig gewordenen Ausländerinnen und Ausländern in die Bundesverfassung aufgenommen werden. Die ersten Umfragewerte vom 10. November 2015 stellten für die junge Gruppierung eine desaströse Ausgangslage dar: 66 Prozent Zustimmung für die Durchsetzungsinitiative, drei Prozent der Befragten waren sich noch unsicher, der kleine Rest war klar dagegen. Von den Wirtschaftsverbänden war keine große Unterstützung zu spüren, die NGOs hatten weder Geld noch Personal. Einzig Amnesty International versprach, 10000 Franken beizusteuern. Operation Libero startete ihre Kampagne im Netz und gründete drei Facebook-Gruppen. Die permanente Vernetzung machte Operation Libero wendiger als ihre Gegenspieler, die sich konventioneller koordinierten. Die Kommunikation lief über Facebook, Twitter sowie die Website des NGO-Gegner-Komitees. Fallbeispiele für die Konsequenzen des neuen Verfassungsartikels wurden ausgearbeitet und Memes mit Antworten auf Behauptungen der Befürworterinnen und Befürworter der Initiative produziert. Rund um die Uhr wurde das Netz durchforstet und Angreifbares aufgespürt. Als ein Politiker – ein Befürworter der Initiative – auf einem Lokalsender eingestand, dass er nicht genau wisse, was in der Initiative stehe, wurde daraus ein 20-Sekunden-Spot, der viral ging. Mitte Dezember organisierte Operation Libero einen Vortrag mit einer Völkerrechtlerin, wenig später unterzeichnete ein Großteil der Ständeräte und Ständerätinnen eine Erklärung gegen die Initiative. Mit der Zeit gingen immer mehr Spenden ein. Mitte Januar verkündeten 120 Schweizer Rechtsprofessorinnen und Rechtsprofessoren ihren Widerstand gegen die Initiative. Dafür beriefen sie sich auf die von Operation Libero genannten Gründe (vgl. ebd.). Nach weiteren Aktionen wurde am 28. Februar 2016 die Durchsetzungsinitiative abgelehnt. Eine fünfköpfige Gruppe junger Leute hatte dazu einen entscheidenden Beitrag geleistet. Einem zunächst utopisch scheinenden Vorhaben wurde zum Erfolg verholfen.