Читать книгу Mit dem Klapprad in die Kälte. Abenteuer auf dem Iron Curtain Trail онлайн

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Der Hotelier steckte den Kopf zur Tür hinaus und blies angesichts der äußeren Bedingungen die Backen auf, dann charakterisierte er mit vorbildlicher Effizienz meinen Reisegefährten: »Kleines Fahrrad.«

Auch den vordringlichen Mangel meiner Reiseplanung brachte er mit ähnlicher Bündigkeit auf den Punkt: »Sommer ist gut für Fahrrad. Jetzt ist nicht gut.«

Ich wusste, dass der erste Wegpunkt der Route die Straße vorbei am Flughafen war, und bat ihn, mir den Weg zu beschreiben. Er tat dies mit spürbarem Widerwillen, dann verfiel er in einen nachdrücklichen, inständigen Tonfall: »Zu kalt. Nehmen Sie bitte Taxi, zum Flughafen ist nur wenige Kilometer!«

Er zog sich kopfschüttelnd zurück, dann wandte ich meine wächserne, verzagte Miene den jungen, pudelbemützten Schneepflugfahrern zu, die auf dem Parkplatz gegenüber den Schnee zu riesigen Haufen zusammenschoben. Irgendwo unter meiner Sturmhaube versuchte ich, mir ein Lächeln abzuringen.

Das erste Straßenschild, an dem ich direkt hinter Kirkenes vorbeigekommen war, war ein Wegweiser, der nach Süden wies. Ich hatte eine Weile gebraucht, ihn zu entschlüsseln. Die Buchstaben waren kyrillisch und die festgezurrten Zugbänder meiner Kapuze hatten die Außenwelt zu einem winzigen, fleeceumrahmten Schlitz verengt. Murmansk. Ich wusste nicht viel über diesen Ort, aber er hatte einen angemessen eisigen, an John Le Carré gemahnenden Klang an sich. Welch sinnfälliges Stichwort für tiefgründige Grübeleien zum Auftakt meiner Reise: die zerronnenen Träume einer sozialistischen Utopie und der Abermillionen, die als Folge davon gelitten hatten; die allgegenwärtige Gefahr nuklearer Auslöschung, welche die erste Hälfte meines Lebens begleitet hatte; die grundlegende Stimmung hier oben an den zuckenden Ohren des russischen Bären in einer Zeit von Spannungen zwischen Ost und West, wie es sie seit den Tagen des Eisernen Vorhangs nicht mehr gegeben hatte. Inzwischen hatte es nicht mal mehr geschneit, aber dennoch – und obwohl ich erst zwei Kilometer und eine einzige Erhebung hinter mich gebracht hatte – war ich bereits zu erschlagen und erschüttert gewesen für derlei komplexe Betrachtungen. Nun, da sich die Dämmerung über die einsame Winterlandschaft legte, schaltete mein Verstand gänzlich ab und wurde überbrückt von einem primitiven, benommenen Überlebensinstinkt.

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