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Später besuchte ich die Wöchnerin, die Mutter meines Täuflings, in ihrem «Verschlag»; ein Wohnwagen am Bach oder an einem See wäre weniger schlimm gewesen als dieses verlotterte Haus. Es war ja alles ein Jammer, aber helfen hätte man nur von Grund auf können.

Offenbar war der Göttibub doch kein gesunder Knabe; kaum drei Wochen nach der Taufe stand die Feckerfrau wieder vor meiner Tür. Sie sah aus wie ein «Maschgrad»: Auf dem kleinen Kopf baumelte ein riesiger Hut, der wohl einmal schwarz gewesen war. Die Frau war noch magerer, die Wangen eingefallen, und von ihren Schultern hing ein schwarzweisses Baumwolltuch, das den Boden berührte. Durch diese Kleidung gab sie ihre Trauer kund, denn sie sagte. «Frau, üüche Göttibueb isch tot. Wills Gott chönd ier übers Jahr wider Gottä sii.» Es war ein alter Brauch, dass man, wenn ein junges Patenkind starb, dem nächstfolgenden Kind denselben Götti gab.

Die Beerdigung war gleich anderntags; diese Leute hatten keinen Platz im Haus. Früh um sieben Uhr kam das Totenzüglein von Ibach heraufgezogen, dem Hauptplatz zu. Bei der Kirche stellten sich der Pfarrherr, Kreuz und Fahnenträger ein. Ich reihte mich am Schluss des Zuges ein. Noch lag eine morgendliche Stille über dem Dorf, nur das Totenglöcklein für Kinder schwang seine hellen Töne in die Landschaft hinaus. Ein prachtvoller Morgen, die Sonne stand neben dem Grossen Mythen, der noch kurz seine Schatten in den Wald hineinwarf. Es war ein Bild, als hätte Richter es gezeichnet: Der Götti, in schwarzem Kleid, trug das kleine, weisse Särglein unter dem Arm. Der Johann benötigte keinen Totenwagen. Nach dem Götti folgten die Grabbeterin und ein kleiner Zug von Begleitern, den Schluss machte ich. Der Pfarrhelfer und die Grabbeterin beteten den Rosenkranz vor, und alle Begleiter stimmten ein. Der Zufall wollte es, dass derselbe «Herr» die Beerdigung ausführte wie damals die Taufe des kleinen Johann. Die Grabbeterin winkte mir, sich rückwärts drehend, energisch zu, dann noch einmal, und alle Köpfe der Begleiter schauten ebenfalls zurück, immer wieder. Ich wusste kaum mehr was tun. Alles an meinen Kleidern war in Ordnung – so liess ich sie schauen und betete mit. Der Weg von der Kirche bis zum Friedhof hat seine gute Viertelstunde; man macht ihn unter stetigem Beten des Rosenkranzes. Aber in diesem Leichenzüglein hatte niemand die richtige Andacht. Immer wieder wurde nach mir geschaut, die Köpfe drehten sich, war ich doch am Ende des Zuges. Wiederum kontrollierte ich mich unbemerkt – alles war in Ordnung, Strümpfe, Rocksaum, Mantel –, doch schon traf mich ein böser Blick des Pfarrhelfers. Endlich standen wir vor dem schmiedeisernen Tor des Friedhofs, es war weiss Gott ein langer Gang unter diesen Blicken.

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