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Frau Herger

Zum Glück hat Frau Herger ihren Kummer. Sie wüsste nicht, worum sie sich hier im Heim sonst kümmern könnte. Nach dem Frühstück wackelt sie zusammen mit dem Kummer in ihr Zimmer. Frau Herger ist schmächtig und klein, so dass der grosse Kummer problemlos neben ihr auf dem Sofa Platz findet. Der grosse Kummer legt seinen fleischigen Arm um ihre schiefen Schultern, drückt kräftig zu, presst den knochigen Körper an seine Brust. Frau Herger erschrickt, schmiegt sich dann aber vertrauensvoll an seinen Oberarm und lauscht, was der grosse Kummer ihr diesmal ins Ohr diktiert. Sie greift nach dem auf dem Beistelltisch bereitliegenden Notizblock und dem Bleistift – das Kurzzeitgedächtnis! –schreibt auf, worüber sie sich heute ärgern könnte: schlechte Verdauung, Zahnschmerzen, brennende Au­gen, Regenwetter; die neue, unfreundliche Praktikantin, ein eingebildeter Tischnachbar, zu schwacher Kaffee und ein Sohn, der selten zu Besuch kommt. Nach einer halben Stunde löst der Kummer seine Umarmung, verabschiedet sich freundschaftlich, eilt ins nächste Zimmer. Denn gar mancher würde ohne seine Hilfe voll­kommen verkümmern.

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