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Frau Jud

Frau Jud kniet vor ihrem ausgebreiteten Leben, in der Mitte ihres Zimmers, auf einem dunkelblauen Teppich. Die Vorhänge sind zurückgezogen, die Geranien auf dem Balkon verblüht, einige wenige Wolken stehen am Himmel; sie dämpfen das Sonnenlicht. Auf den vielen Fotos, alle schwarz-weiss, liegen Schatten des jetzigen Lebens. Frau Jud neigt sich nach vorne, stützt sich mit den Fäusten auf den Teppich, schaut auf ihre vergilbte Vergangenheit, seufzt, lacht leise. Hinter ihren Füssen stapeln sich Schuhschachteln; Dutzende von Fotos schwimmen auf dem Teppich. Frau Jud rutscht auf den Knien, dreht sich im Kreis. Die Bilder, die so nah sind und doch so fern, tauchen wie Inseln aus dem Meer des Vergessenen auf, ziehen in Zeitlupe an ihren Augen vorbei. So lange, bis sich auf einmal ein Bild aus der Menge in den Vordergrund drängt, Frau Jud ihre Dreh­be­wegung stoppt, sich herabbeugt, das Gleichgewicht verliert, nach vorne kippt, sich mit einer Hand, in eine Lücke zwischen den Fotos zielend, auffängt und mit der anderen Hand zögernd, fast etwas ängstlich, das Foto, das ihr ins Auge gesprungen ist, vors Gesicht führt, das Kind auf dem Schaukelpferd grösser und grösser wird und Frau Jud klein, so klein, wie sie früher einmal war.

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