Читать книгу Wenn Sie kein Feigling sind, Herr Pfarrer. Werner Kriesi hilft sterben онлайн

35 страница из 65

«Ich bin zwar noch jung», erzählt sie, «doch ich habe alles ge­habt, was das Leben einem Menschen bieten kann, vielleicht dürfen wir gar nicht mehr erwarten. Wir sind geneigt, vor allem in den westlichen Ländern, unsere Erwartungen an das Leben zu überfrachten. Damit sind dann so viele Enttäuschungen verbunden, die gar nicht sein müssten. Ich konnte ja trotz meiner Krankheit in die Schule gehen. Nur einige Semester hätten gefehlt und ich hätte mein Studium mit meiner Masterarbeit beenden können. Einmal war ich mit einem guten Mann verhei­ra­tet. Die Trennung war nicht zu umgehen. Ich war zu krank. Das weiß ich heute. Einige Jahre engagierte ich mich beim Schweizerischen Roten Kreuz. Ich habe die Welt kennengelernt! Im Guten wie im Schweren. Es genügt.»

Knapp dreißigjährig erleidet Judith einen akuten Schub. Die Hälfte des Magens, der Zwölffingerdarm, die Galle sowie die Milz müssen operativ entfernt werden. Bald darauf folgt ein Darmdurchbruch. Innerhalb eines Monats wird sie fünfmal operiert. Seither ernährt sie sich nur von Joghurt und allerlei Breispeisen. Mehr als zwanzigmal täglich spritzt sie sich ein Morphiumpräparat, das ihren ganzen Körper betäubt. Ohne diese Keule müsste sie sich, wie sie sagt, an der Wand den Kopf einrennen. Kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres hält sie es nicht mehr aus. Sie versucht sich mit einer wilden Mischung von Medikamenten das Leben zu nehmen. Sie wird gefunden und reanimiert. Als sie erwacht, erfasst sie ein Heulkrampf. Sie ist derart verzweifelt, dass sie ihre Retter anschreit.

Правообладателям