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«Mir gefällt die verschneite Stadt. Auch vor zwanzig Jahren, als mein Sohn geboren wurde, schneite es, das war im Januar, am 21. Januar 1963, es fiel frostiger, stechender Schneeregen. In diesem Jahr hatte es nicht viel ge­­schneit, es war aber seit Ende November eiskalt, so kalt, wie es nur alle fünfzig Jahre vorkommt, das stand damals in den Zeitungen, wissen Sie», redet die Frau weiter, «und der See war vollkommen zugefroren. Ich bin mit der Straßenbahn kreuz und quer durch die Stadt gefahren, das galt als wehenfördernd. Mein Mann, ein wunderbarer Mann, wissen Sie, wir waren ein perfektes Paar, alle haben uns bewundert …, mein Mann also – jetzt verstehe ich, Sie erinnern mich ein bisschen an meinen Mann –, er versuchte, mich zu beruhigen, ‹keine Bange›, sagte er, ‹sobald es Zeit ist, kommt es von selbst›. Aber ich saß trotzdem von früh bis spät in der Straßenbahn, fuhr an der Seefeldstraße mit der 2 los bis Tiefenbrunnen oder in die andere Richtung bis Stadelhofen und dann mit der 9 weiter bis Milchbuck, oder ich stieg am Bellevue um und fuhr mit der 5 bis Fluntern. Bis mein Sohn schließlich auf die Welt gekommen ist.» Die Frau unterbricht sich. «So, jetzt kommt der Paradeplatz, sehen Sie?», sagt sie und wird auf ihrem Sitz unruhig. Der Mann steht auf, sie steigen aus. Der Platz ist menschenleer, es schneit in dichten Flocken. Die Frau packt den Mann am Ärmel. «Kommen Sie», sagt sie, «die 2 fährt gegenüber. Kennen Sie sich in der Stadt aus? Begleiten Sie mich nur dieses kurze Stück, dann können Sie, wenn Sie wollen, am Bellevue aussteigen und mit der 11 direkt zu ihrer Haltestelle zurückfahren. Haben Sie ein Generalabonnement? Ach, was rede ich da, Sie sind bestimmt Student, ein Generalabonnement wäre zu teuer, haben Sie eine Monatskarte? Oder eine Wochenkarte?» – «Eine Monatskarte», ant­wortet der Mann, «ich habe vor Kurzem mein Medizin­studium abgeschlossen und gerade die Ausbildung zum Facharzt angefangen.»

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