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Unsere Reisen fanden meistens an Sonntagen statt. Manchmal gingen wir nach Sent zu ihrer jüngeren Schwester Hermina. Falls wir ausnahmsweise den ersten Zug erwischt hatten, konnten wir in Scuol das Postauto besteigen, das auf uns wartete, durch die Ortschaft fahren und uns dann in sanften Kurven bergwärts tragen lassen. Hinter uns blieb eine Staubwolke zurück, die Strasse war von Bäumen gesäumt. Bei schönem Wetter war das Autodach geöffnet, dann huschten grüne Laubkronen über uns hinweg ... Doch wenn wir erst den zweiten Zug benützt hatten, gab es kein Postauto, dann stand uns ein langer Marsch bevor; zuerst das langgezogene Scuol mit Hotels, Läden und Schaufenstern, und wenn wir die Ortschaft endlich hinter uns hatten, erklärte sie: «Jetzt haben wir schon fast die Hälfte.» Ich widersprach nicht, obwohl ich wusste, dass es nicht stimmte. Kurz nach dem Dorfausgang gab es oberhalb der Strasse eine schwefelhaltige Mineralquelle. Wir gingen hinauf, man konnte eine Röhre nach unten drücken, worauf das Wasser kam. Ich fand es scheusslich, trank aber trotzdem, weil es gratis war und weil Mutter erklärte, das fördere den Appetit für das herrliche Mittagessen, das uns in Sent erwarte. Nachher ging es den Berg hinauf, Kurven hin und her, Naturstrasse, am Rande die staubige Böschung, graue Wermutsträucher, Disteln und Grillengezirp. Sie musste mich ein bisschen ziehen und immer wieder aufmuntern. Irgendwo sah man auf dem Berg endlich das Dorf, eine kompakte Häuserkulisse im blauen Himmel, aber noch unendlich fern. Man sah den schlanken Turm, vernahm etwas Glockengeläute. Irgendwo machten wir eine Pause, sie nahm ihr Taschentuch, benetzte es mit Speichel und putzte irgendeine Stelle an meinem Gesicht. Doch unsere Ankunft in Sent, das Haus der Verwandten, die Begrüssung und das herrliche Mittagessen, mit dem sie mir den Marsch schmackhaft gemacht hatte, das ist weg, vergessen, ausgelöscht, als wären wir nie in Sent angekommen. Es bleibt nur Mama, die Mühsal und der unendliche Weg.