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Bevor Johann, unser Jüngster, zur Welt kam, genoss ich acht Jahre lang das Privileg des Nestkückens. Vielleicht der Grund einer starken Mutterbindung. Ich frage mich, ob mir aus dieser Bindung nicht sogar Eigenschaften erwachsen sind, die man sonst als erblich bezeichnet, während sie vielleicht durch lange leibliche und seelische Nähe einfach übertragen wurden – in meinem, beziehungsweise unserem Fall eine gewisse Schwerblütigkeit, Stimmungsschwankungen, Wechsel zwischen Geselligkeit und Einsamkeit, gelegentliche Gesellschaftsflucht, Festtagsallergien, Müdigkeit am Morgen und Aufleben bei Nacht. Vielleicht sogar gewisse nervlich bedingte Herzschwächen bei Bise oder Föhn.
Wenn sie hie und da auf Reisen ging, nahm sie mich mit, wobei ich mich schon als Kleiner daran gewöhnt hatte, dass wir fast immer den ersten Zug verpassten. Ich weiss nicht, ob sie nicht auf die Uhr schauen konnte oder ob sich in ihr irgendetwas gegen Uhren und Fahrpläne sträubte. Vielleicht wusste sie schon im voraus ganz genau, dass wir den ersten Zug verpassen würden. Sie hatte ihren eigenen Rhythmus, vor allem eine für sie offenbar lebensnotwendige Morgenlangsamkeit, war dann auch eigenwillig genug, sich von der Welt nichts aufzwingen zu lassen. Eine Hoteldirektorin in St. Gallen, bei der sie einst als erwachsenes Mädchen angestellt gewesen war, soll ihr einmal gesagt haben: «Du hast einen Kopf, und der gehört dir!»