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Kleine Fussnote: Combloux, Haute Savoie, 28. Juli 1980, Schlag 14.00 Uhr. Hans Stürm, on the road mit Bea Leuthold, will auf unserer bmw 1000 (blau metallisiert, günstige Occasion!), die wir gemeinsam besitzen, bei Tempo so einem landwirtschaftlichen Gefährt ausweichen. Aber es hatte Rollsplit auf der Strasse.

Röntgenbild seiner rechten Hand, nachher (Frakturen Metakarpale II-IV). Ausserdem: Trümmerfraktur des distalen rechten Unterarms. Leuthold: unbeschädigt. Maschine: Totalschaden. Noch mit dem Arm im Gips: eine neue gekauft.

Châteaux en Espagne*

«Von hier sehe ich

Das trockene Antlitz Kastiliens

Wie einen Ozean aus Leder.»

Pablo Neruda, «España en el corazón»

Der Reisende * Im Französischen gebräuchlicher Ausdruck für: Chimären, überrissene Projekte, Phantasmagorien, hoch hinaus (zu hoch). sieht diese hoch auf­ge­türm­ten Wahn­sinns­ge­bil­de über der Ebene schweben wie einen gleissenden Traum, der beim Näherkommen nicht zerrinnen will und immer drohender Gestalt annimmt, bis man ihn betasten abschreiten fühlen kann, den Machttraum und Angsttraum der Eingemauerten, die mit ihrer versteinerten Imponiergebärde die Landschaft beherrschten und immer noch beherrschen und dabei ihre Furcht vor dem Untergang dokumentieren, denn so grausam baut nur, wer sich ständig bedroht fühlt und die nächste Belagerung erwartet oder den nächsten Bauernaufstand oder einfach den Tod. Manche stehen noch über den Dörfern, als ob sich nichts geändert hätte seit dem Mittelalter, drohende Herrschaftswolken, die nicht verdampfen wollen, von weitem sieht das Gemäuer aus wie neu oder restauriert und ist doch nur gut erhalten und auf eine derart solide Art gefertigt, dass auch die nächsten Jahrhunderte fast spurlos an ihm vorübergehen werden. Nur die Weichteile dieser phantasmagorischen Bestien sind unterdessen vermodert, die Dächer längst eingefallen oder von den Dörflern abgetragen, die Balken verfault und alle Innereien verrottet, aber die Steine haben Widerstand geleistet und der Mörtel, es muss eine besonders hartnäckige Mischung gewesen sein, kittet die leeren Hülsen des Feudalismus immer noch zusammen. Die Herren haben für die Ewigkeit gebaut, oder bauen lassen, und haben sich riesige Grabsteine gesetzt über dem Land und ihre Herrschaft noch den Nachkommen der Dörfler, welche die Kastelle für sie gebaut haben, ins Gedächtnis graviert, und das macht nun den Eindruck, als ob die Castillos dem jeweiligen Dorf, das sie beschirmen sollten, den Lebenssaft herausgesogen hätten und zu einer monumentalen Parasitenpflanze herangeblüht wären; das Dorf sieht aus, als ob es sich für seine Existenz entschuldigen müsste, und das Castillo, dieser Machtpilz, demonstriert noch als Ruine die alten Omnipotenzphantasien. Die Bauleute, so scheint es, sind noch da in den geduckten, weissgekalkten Häusern am Fuss der Burgen in den winzigen Gassen, wo im Sonnenglast die Hunde träumen und schwarzvermummte Frauen die Kleider der Männer flicken vor den Hauseingängen, aber die Herren sind ausgezogen und nicht mehr heimgekehrt vom letzten Kreuzzug und sind vielleicht immer noch mit der reconquista von Spanien beschäftigt, das heisst mit der Wiedereroberung von Spanien, die auch ein Kreuzzug war, denn die Araber hatten das Land besetzt gehalten und sind von den christlichen Rittern in einem vierhundertjährigen Krieg zurückgedrängt worden bis in ihren letzten Stützpunkt Granada, den Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragón, welche man los reyes católicos nennt, die katholischen Herrschaften, schliesslich auch noch den Mohren weggenommen haben, 1492. Und seither ist das Land in seiner Gesamtheit christlich oder bildet sich das ein, mit den Arabern, moriscos oder Mohren, wurden die Juden vertrieben, alles Unspanische getilgt oder bekehrt, die Vorfahren von Elias Canetti zum Beispiel, welche auch von einer solchen Burg beschirmt worden waren und später bis nach Bulgarien hinunter auswanderten; sogenannte Spaniolen, die heute im Exil noch das Spanisch des 15. Jahrhunderts sprechen. Die Burgen verloren dann allmählich ihren militärischen Wert, viele waren als Festungen der Christen gegen die Araber oder als Festungen der Araber gegen die Christen gebaut worden, eine befestigte Grenzlinie teilte das Land und verschob sich langsam nach Süden, und nachdem die reconquista von Spanien abgeschlossen war, begann 1492, im alten Kreuzzug-Geist, der Drang nach dem Westen über die Meere und der Landraub in Amerika, die noblen Konquistadoren zogen an den Königshof und liessen sich einen Auftrag erteilen und beschlagnahmten im Namen der reyes catolicós die Neue Welt, und ihre Burgen in der spanischen Provinz begannen den Jahrhundertschlaf und verlotterten, allgemach. Nur wenige sind heute noch bewohnt. Im Gemäuer der Zinnen dieser Ruinen oder Halbruinen sind oft die Fernsehantennen der Dörfler aufgepflanzt wie kleine Freiheitsbäume. Eine späte Revanche der Untertanen über die Herren, die castillos stehen ja gewöhnlich auf dem höchsten Punkt einer Erhebung, dort oben ist der Empfang besonders gut, und jetzt kommt die Botschaft der neuen Herren aus Madrid über die Burgzinnen in die bescheidenen Häuser geflimmert. Manchmal werden die Ruinen auch als Steinbrüche benutzt, und obwohl ein Burgenerhaltungsgesetz das heute verbietet, werden die Steine wieder in die Ebene hinuntergeschleppt, woher sie kamen, und neue Häuser gebaut mit den antiken Resten und profitieren die Bauern dergestalt ein wenig von der Anstrengung der Vorfahren, welche die Burghügel mit ihrem Schweiss getränkt haben. Es bleiben auch so genug castillos erhalten, etwa dreitausend dürften es noch sein, und wenn man alle Reliquien zählt und sämtliche bröckligen Burg-Grundmauern im Land dazurechnet, komme man sogar auf fünftausend, sagt der Verein der Freunde der spanischen Burgen (Barbara de Braganza 8, Madrid 4).

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