Читать книгу "Man treibt sie in die Wüste". Clara und Fritz Sigrist-Hilty als Augenzeugen des Völkermordes an den Armeniern 1915-1918 онлайн

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Im Bewusstsein, dass Claras Zeugnisse zum Genozid im Ta­ge­buch erst im Kontext anderer, auf den ersten Blick eher un­we­­sent­li­cher «Alltäglichkeiten» sinnvoll werden, begann ich mit dem Transkribieren der – fast – sämtlichen Einträge ab dem April 1915 bis Ende 1916. Denn das war die für den Völkermord kritische Zeit. Von den Jahren 1917 und 1918 nahm ich nur, was für mein Thema bedeutsam war. Bei den einzelnen Einträgen, die ich möglichst wortgetreu transkribierte, nahm ich mir bestimmte Freiheiten: die Abkürzungen wurden ausgeschrieben, gelegentlich wurde Nebensächliches und Unentzifferbares weggelassen. Es ging mir nicht um eine wissenschaftlich-kritische Ausgabe des ganzen dreijährigen Tagebuchs, bei der Präzision und Vollständigkeit vorrangig wäre. Es war eine empirische Suche nach wichtigen Tatsachenmaterialien über den Genozid.

Am Tage nach ihrer Trauung26 in Werdenberg treten Clara und Fritz ihre «Hochzeitsreise» in die Türkei an. Sie fahren zunächst mit der Eisenbahn durch das mitteleuropäische Kriegsgebiet, machen einen kurzen Halt in Wien und Budapest, dann geht es weiter über den Balkan nach Konstantinopel. Am 2. Mai 1915 schreibt sie: «Verwundete und Flüchtlinge. Trostloser Anblick an den Bahnhöfen, Bihargebirge. Dann Blick auf die Schneeberge. Erster großer Zoll. Predeal. Vorrücken der Uhr um eine Stunde. Der Orient macht sich unangenehm bemerkbar.» Wegen der Militärtranspor­te dauert die Reise von der Schweiz bis Konstantinopel etwa zwei Wochen. Doch Clara hat immer ein Auge für schöne, exotische Szenen, für Landschaftsbilder, für die Tier- und Pflanzenwelt, und das lenkt sie von all dem Traurigen der Kriegszeit ab. Am 5. Mai 1915 schreibt sie: «Bulgarisch-türkische Dörfer. Pflügende Bauern in farbigen Trachten. Ganze Schwärme von Störchen. Schwertlilienfelder. Unser Zug hält überall der Militärtransporte wegen. Wir be­gegnen endlos langen Militärzügen. Adrianopel. Moschee in der Abendsonne.»

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