Читать книгу "Man treibt sie in die Wüste". Clara und Fritz Sigrist-Hilty als Augenzeugen des Völkermordes an den Armeniern 1915-1918 онлайн

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Zu Beginn ist Clara ganz benommen von der wilden Schönheit der kilikischen Berglandschaft, in der vieles sie an ihre heimatliche Alpennatur erinnert. Begleitet von Mussa, Joggel oder eines Kawassen36 geht sie täglich auf Wanderungen durch die Gegend, häufig auf der Suche nach seltenen Pflanzensamen und verschiedenen wilden Alpenblumen, und alle Namen sind ihr bekannt: Zy­clamen, Krokus, Narzissen, Iris und Azaleen, Anemonen, Löwenmaul, Primeln und Orchideen. Wenn Fritz frei hat, machen sie zu zweit Ausritte oder Wanderungen, erkunden die Gegend, interessieren sich für Ethnographisches und Historisches im alter­tüm­li­chen Kilikien. Zuweilen besuchen sie eines der vielen Kurdenhäuser in der Gegend, und Clara, beeindruckt von kurdischen Ritualen, beschreibt in ihrem Tagebuch und in ihren Briefen ihre Hochzeiten und Begräbnisse. Von ihrem Fenster aus oder von der Veranda ihres auf einer felsigen Anhöhe stehenden Häuschens kann sie fremdländische Szenen beobachten: Karawanen mit Kamelen, Araber mit schönen Pferden, Beduinen- und Zigeunerlager und vieles mehr. Begeistert schreibt sie darüber im Tagebuch und in ihren Briefen nach Hause. Doch Keller ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt mit einer Etappenstraße, die sich durch die Ebene zieht, und bald zeigt dort das Kriegsgeschehen sein häss­liches Gesicht: reger Militärverkehr, «Ulanen, Kavallerie, Infanterie». Transporte «von deutschem Militär mit großen Geschützen», Durchzug von englischen und indischen Gefangenen mit Vorführung von erbeuteten englischen Fahnen, Jagd nach Deserteuren mit Schießereien und unbegrabenen Toten und vieles mehr. Das alles bedrückt Clara. Am 1. August 1915, dem Feiertag der Schweizerischen Eidgenossenschaft, dringt der Krieg auch in ihr privates Leben ein, und sie schreibt: «Mein kleiner Tisch [draußen] ist von einer Kugel durchbohrt.»

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