Читать книгу Spurlos. Andrea Stamms zweiter Fall онлайн
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Bären haben doch nicht so lange Schwänze, sagte sich Daniel, drückte sein Gesicht ins Kissen, schloss die Augen. Sah das Mädchen vor sich, das auf einer Party eine falsche Droge erwischt hatte. Alkohol dazu, ein tödlicher Cocktail. Sie lag schon im Koma, als man sie brachte. Eine wachsweisse Prinzessin mit glasigen blauen Augen. Eine Nacht und einen Tag hatten sie gekämpft, er hatte mit ihr geredet, Geschichten erzählt, dann war sie hinter die sieben Berge entschwebt, still und leise und schön wie Schneewittchen. Die Eltern sassen im Korridor auf Plastikstühlen, er eilte an ihnen vorbei, fand den Mut nicht, es ihnen zu sagen.
Im Foyer war er der Pflegerin Maya begegnet. Er musste reden, um nicht zu heulen. Er erinnerte sie an seine Einladung zu Kaffee und Kuchen, doch so spät war kein Café in der Stadt mehr geöffnet. Er schleppte sie in eine Bar, kippte auf den doppelten Espresso zwei, drei Bourbon, vielleicht auch mehr und viel zu schnell, schwatzte unablässig, breitete sein ganzes verrücktes Leben vor ihr aus. Sie hörte ihm zu, mit traurigen, schwarz umrandeten Augen, im Taxi hielten sie Händchen, im Lift der erste Kuss. Liebe in Zeitraffer, er erinnerte sich nur noch an Bruchstücke. Hatten sie Kondome benutzt? Hatten sie überhaupt Sex gehabt, oder war er gleich eingeschlafen, behütet von diesem Bären, der ihn an wilde Tage im Westen erinnerte. Mit Andrea, dachte er, möchte ich einmal im Yosemite klettern, die Salathé am El Capitan fehlt mir noch, ein Klassiker. Würde ich vielleicht noch schaffen. Jetzt erinnerte er sich, dass er vom Yosemite geträumt hatte, er hängt in einer Wand, «Sea of Dreams», eine schwere Technoroute, auf der Hängematte neben ihm räkelt sich das Schneewittchen, ballt zarte Finger zu einem Fäustchen, hebt den Daumen, lächelt ihm zu. Ein abgründiges Gefühl der Verlassenheit hatte ihn ergriffen im Traum. Dann war er erwacht.