Читать книгу Mich hat niemand gefragt. Die Lebensgeschichte der Gertrud Mosimann онлайн

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Die Foto gibt es, man sieht mir meine Verstörtheit an. Der «Pilgerbrunnen» in Zürich – damals, vor der Eingemeindung von Altstetten und Albisrieden, noch am Stadtrand – war eine Maternité für ledige Mütter, die hier die letzten Wochen vor der Geburt verbrachten und für ihren Lebensunterhalt arbeiteten. Wenn sie nicht selbst für ihre Kinder sorgen konnten, wurden diese noch bis zu zwei Jahren im «Pilgerbrunnen» betreut, bis sie in einer Pflegefamilie oder in einem Heim untergebracht wurden. Die Maternité wurde von Diakonissen geleitet, die für Zucht und Ordnung sorgten und kräftig darauf hinwirkten, dass sich die jungen Mütter – «gefallene Mädchen» nannte man sie damals – bekehrten. Meine Mutter soll in der Nacht vor meiner Geburt den Heiland angenommen haben.

Hier wurde ich am 29. April 1916 geboren, zwei Monate nach dem 23. Geburtstag meiner Mutter, die selbst noch ein Kind war. Sie hatte keine Ahnung, das naive Geschöpf! Sie soll erst im sechsten oder siebten Monat erfahren haben, dass sie schwanger war. Eine Freundin hatte sie darauf aufmerksam gemacht. Was nun? Bei den zwei frommen Schwestern Rupflin in Zizers, wo sie diente, konnte sie nicht bleiben. Heim nach Biel? Das kleine Häuschen war auch ohne sie schon zu voll, und das Urteil über eine ledige Mutter unbarmherzig. Dann war da in Biel noch der Stauffer, der Kindsvater, und die ältere Schwester Ida riet heftig davon ab, dass sie sich weiter mit dem einlasse. Die Freundin, die sie über ihren Zustand aufgeklärt hatte, ein Dienstmädchen aus Österreich, wollte ihr zur Flucht ins Ausland helfen, aber dazu hatte sie den Mut nicht. Irgend jemand wusste dann vom «Pilgerbrunnen» in Zürich.

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