Читать книгу Der Stammbaum. Chronik einer Tessiner Familie онлайн

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Es ist typisch für die weniger Armen unter den Armen, dass sie hartnäckig alles beiseitelegen und nichts, aber auch gar nichts fortwerfen, nicht einmal einen verrosteten Nagel. Alles könnte noch einmal zu etwas dienen, man kann nie wissen … Leute, welche in der Bedrängnis leben, bewahren nichts auf. Sie können nur das dringend Notwendige behalten. Sie leben ein Dasein, das keine Schichtenbildung erlaubt. Es sind Menschen ohne Geschichte, sie werden sogleich ausgelöscht. Während die knauserige Ehrfurcht, welche Papiere und Briefe aufbewahrte, mir gestattet, die Vergangenheit ein wenig abzuschreiten, in der Zeit zu graben, eine Gestalt oder eine Tat meiner Vorfahren wieder aufzufinden, aus ihrem mühevollen Dasein ein paar Fragmente zu rekon­struieren. Kurz – Geschichte zu schreiben.

Die Geschichte armer Leute, welche durch die Welt zogen, mit nichts anderem bewehrt als ihren Armen, lauter Tagelöhner am Anfang, dazu verurteilt, den Esel zu spielen, wie der Grossvater Barbarossa schreibt, und sich mit elenden Löhnen zu begnügen. Sie kannten die Sprache des fremden Landes nicht und waren in ihre blasse, schweigsame Mühsal eingemauert. Es sind magere Briefe, gewöhnlich wenig mehr als ein Gestammel, und sie kamen selten ins Haus, wo sie gierig erwartet wurden. Manchmal lagen Jahre des Schweigens dazwischen. Sie beginnen alle mit dem stereotypen Anfang, der unverändert blieb und eigentlich sinnlos war: «Ich gebe euch Nachricht von meiner guten und erfreulichen Gesundheit und hoffe zu Gott, dass auch ihr gesund seid.» Es muss eine Formel gewesen sein, die sie in der Schule gelernt hatten, wer kann sagen, wie man dieses «erfreulich» erklären soll. Denn wenige Zeilen weiter unten sprechen sie von elendiglicher Gesundheit, von Krankheiten …

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