Читать книгу Der Stammbaum. Chronik einer Tessiner Familie онлайн

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In den Häusern der Bianconi, der Grosseltern väterlicher­seits, ist nichts mehr vorhanden, weder Papiere noch ­ir­gendein anderer Hinweis oder ein Schriftstück. Die Häuser sind veräussert worden. Alles ist zerstört. Die we­nigen Papiere wurden von fremden Händen dem Feuer überantwortet.

Als Knaben gingen wir oft unsere Tante Nina besuchen, die dort allein lebte. Sie war klein, ein wenig verkrümmt, wachsgelb und hatte einen einzigen grossen blanken Zahn im Mund. Sie allein war übrig geblieben, um den Herd zu hüten. Über dem Feuer stand andauernd der bronzene Kaffeetopf. Und dort flüsterte sie ihre Requiem eterna und ihre Gebete für die Lebenden und Toten und räusperte sich und spann dabei – arm und gütig wie sie war – ihren Rocken leer. Sie erzählte, als ihre Mutter (die Grossmutter Mariorsola, wir nannten sie MammarÌa, und ein Bildnis von ihr hält meine Erin­nerung an sie wach) im Sterben lag, hätte sie sie ge­beten, ihr eine Erinnerung zurückzulassen, ein Wort, ei­nen Ratschlag, eine Lebensregel. «Tu allen Leuten Gutes!», sagte die Grossmutter zu ihr. Und nach einer ­Weile, als sie sie nochmals um dasselbe bat, erhielt sie die gleiche Antwort: «Tu allen Leuten Gutes!» Und das tat sie denn auch immer. Selber arm und elend, fand sie Mittel und Wege, denen, die noch elender waren, mit ihrer stets kräftigen Mildtätigkeit zu helfen: mit einer Schüssel voll Minestra, ein wenig Brot, einem guten Wort. Sie hatte sich, wer weiss unter wie viel Entbehrungen, dreissig Franken gespart, drei halbe Taler, um sich ein Kleid schneidern zu können. Dann aber gab sie sie dem Pfarrer, damit er sie nach Indien sende und den Hunger der Ärmsten dort drüben stille …

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