Читать книгу Der Stammbaum. Chronik einer Tessiner Familie онлайн

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Es gibt keinen Pfarrer mehr. Und der Lehrer der weni­gen Knaben ist ein Süditaliener, aus Caltagirone oder Catanzaro soll er herstammen. Und das ist der, fast möchte man sagen sinnbildliche, Zustand vieler, allzu vieler unter den Dörfern unseres Tals. Wenn das so weitergeht, werden wir uns innert kurzem nicht mehr daheim fühlen, sondern im Exil zwischen Deutschen und Süditalienern. Wie grausam unbeheimatet mussten sich die Bewohner von Mergoscia vorkommen, die einst auf den Strassen der Welt sich zurechtfinden mussten, unwissend in allem, besonders in der fremden Sprache, eingemauert in ihre gedemütigte Einsamkeit.

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Mergoscia

März 1966

Ich bin nach Mergoscia hinaufgestiegen, denn mich verlangte darnach, etwas aus der Vergangenheit wiederzufinden; nicht nur Erinnerungen an mich als Knaben, der ich ab und zu ein paar Wochen dort oben verbrachte, und der ich oft hinging, um die Grosseltern und die Onkels zu besuchen. Jetzt aber finde ich mich zwischen den Häusern des hochgelegenen Weilers, im «Benitt», wo meine Vorfahren lebten und von wo meine Eltern herkamen, nicht mehr zurecht. Von den Leuten, die ich dort kannte, blieben kaum zehn Personen übrig, und sie bieten keine Gewähr für Nachkommenschaft. Die Feuerstellen in den Häusern sind dazu bestimmt, zu verlöschen. Zwischen den verlassenen Häusern ohne Dächer, die Mauern sind oft gut gebaut, aber sie stürzen trotzdem entmutigt ein, zwischen jenem strengen Grau des Steins und den Schornsteinen, die seit Jahrzehnten nicht mehr rauchen, steht ab und zu ein wieder aufgebautes oder auch ein ganz neues Haus, und zwischen dem abgestuften Silbergrau der Steinplatten sind rote Flecken von Ziegeln zu sehen. Von dieser Handvoll Häuser, sagt man mir, sind gut fünfzehn im Besitz von Deutschschweizern, die hier ihre Ferien verbringen; ja einige wohnen sogar dauernd hier.

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