Читать книгу Der Stammbaum. Chronik einer Tessiner Familie онлайн

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Ich stehe da und suche ein Zeichen aus früheren Zeiten, einen Hinweis, der mir die erschreckende Last der Vererbung erklärte, diesen Wirrwarr aus Müdigkeit und Kraft, aus Kühnheit und Zaghaftigkeit, aus Bosheit und untätiger Güte, die mein Wesen ausmachen. Ich suche etwas, das mir erklärte, weshalb ich auf den Schultern so etwas wie eine unendliche, auf der Spitze stehende Pyramide von Menschen zu tragen meine: Eltern, Grosseltern, Urgrosseltern, Vorfahren ohne Antlitz, eine ganze anonyme Masse. Und weshalb ich ein erdrückendes Gewicht verspüre, körperliche und geistige Lasten, lang vergangene Falten und Wunden, die ich nicht beseitigen kann. Es ist ein Eindruck, der mit den Jahren immer stärker wird. Die oberflächlichen Anwandlungen, der dünne Firnis der Erziehung und Erfahrung, die weniger wesentlich sind, als man glauben möchte, verschwinden. Etwas Tieferes und Wahreres enthüllt sich. Eine geheime Schichtenbildung, fast so etwas wie eine moralische Geologie, kommt zum Vorschein. Wiederum müssen Schmerzen erlitten werden, die unheilbar bleiben, weil sie alt und anonym sind, und ebenso Demütigungen, Leiden und Mühsale. Wiederum müssen die Knochen alle Müdigkeiten der Ahnen erfahren. Und es gibt keine Ruhe, die sie stillen könnte. Sie sind im Blut, zuinnerst im Fleisch.

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