Читать книгу Der Stammbaum. Chronik einer Tessiner Familie онлайн

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Man spürt die Behinderung der Hand, die nicht an die Feder, sondern an die Spitzhacke gewöhnt war, und die Schwielen trug vom Melken der Kühe, unendlich vieler Kühe. (Und ich erwerbe mir hier Schwielen an den Fingern, indem ich die Tasten der Schreibmaschine betätige …) Oft besassen sie nicht einmal die materielle Möglichkeit zu schreiben. Sie lebten draussen an abgelegenen Orten, in weit entlegenen «Ranches». Doch nur selten sprechen sie von der Mühsal, von dem langen Arbeitstag, der begann, wenn die Sterne verblichen und mit dem Auftauchen der Sterne endete, oder von den Demütigungen, von der Einsamkeit; denn sie waren nicht fähig, sich mitzuteilen, oder mochten vielleicht auch die Lieben zu Hause nicht beunruhigen. Sie sprechen vom Wetter, diesem fundamentalen Thema, dieser immerwährenden Sorge, vom Wetter, welches die guten oder schlechten Ernten bestimmt. Von Monaten eintönigen Lebens, von endloser Trockenheit, von aussergewöhnlicher Kälte und so weiter. Sie sprechen von ihren Landsleuten, von den Patriotti, die sie ab und zu treffen, von irgendeiner frohen Stunde, die sie gemeinsam verbringen, von jemandem, der – angelockt von dem fernen Schimmer des Goldes – herüberkommt (und immerzu kamen welche herüber), und der Nachrichten bringt von zu Hause; von einem Gefährten, der zufrieden oder enttäuscht abreist und von der ewigen Sorge ums Geld, von – verglichen mit der Mühe – mageren Löhnen. Und wenn sie zu Anfang ein paar Batzen zusammensparten, geschah es, weil sie rein nichts ausgaben, weil sie sich bis zum Letzten mit wenig begnügten, um die Reiseschuld abzahlen zu können. Die Summe wurde ihnen gewöhnlich von der Gemeinde vorgestreckt. Und um etwas nach Hause schicken zu können, damit die Zurückgebliebenen fröhlich seien. Oft beklagen sie sich über fehlende Arbeit, über elende Jahre, in denen sie keinen Rappen beiseitelegen können. Es sind Briefe, die sich um wirtschaftliche Fragen drehen. Aber nie erklingt ein Aufschrei der Empörung oder eine Verwünschung. Es ist die stumme Hartnäckigkeit der Ameise: schweigen und büffeln. Nie ein Jammern, ausser über die ersten Zeiten, weil sie die Sprache nicht können, was sie inmitten der Leute grausam isoliert. Ein Einziger, den ich kenne, gab der Verzweiflung Ausdruck, er begann zu trinken. Er sagte, er habe so viel Whisky getrunken, «dass man damit einen ganzen Monat lang eine Mühle hätte treiben können». Aber er zog sich recht gut aus der Schlinge und kehrte in die Heimat zurück. Und als er, noch nicht alt zwar, aber doch recht gesetzt geworden war, trank er nur noch den herben heimatlichen Wein. Denn man muss sagen: Wenn sie erst einmal wieder zu Hause waren, liessen sie sich, auch wenn sie ein paar Batzen in der Tasche hatten, rasch von dem einstigen Leben wieder einfangen und begannen zu schuften und zu schwitzen wie früher. Schnell nahmen sie die einstigen Gewohnheiten wieder an und taten nichts, um das frühere Leben ein bisschen zu verbessern. Doch machten sie sich Luft, indem sie die Länder «dort drüben» in den Himmel lobten, als wären diese ein verlorenes Paradies … Öfters kauften sie sich auch ein kleines Gütchen, einen Weinberg und ein Haus, draussen in Minusio oder in Tenero, wie dies der Grossvater Rusconi ungeachtet seiner andern Güter tat, und auch, und zwar endgültig, mein Vater.

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