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Ich fand es ganz natürlich, der Redaktionsversammlung, im Rahmen der Heftkritik, diesen Vorgang zu erläutern. Es wurde ziemlich still dabei, manche Kollegen sahen mich entsetzt an, Koch rutschte unruhig hin und her – und nach meinem Vortrag meldete sich ein einziger, der diese interessanten Interview- und Flugbräuche kritisieren wollte. Der Mann wurde von Koch barsch zum Schweigen gebracht. Nach der Heftkritik kamen zahlreiche Kolleginnen und Kollegen in mein Büro und gratulierten; droben in der Konferenz hatten sie geschwiegen.
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Ach, es war eine schöne Aufstandswoche, damals im Mai 1983, und auch ich habe einige Tage lang gemeint, die Redaktion sei zu sich selbst gekommen: zu ihrem Bewusstsein. Waren nicht alle Ressortchefs, einer nach dem andern, aufgestanden, und hatten sie nicht beteuert, Gross und Scholl-Latour (im Hause Schmoll-Lamour genannt) kämen sozusagen nur über ihre Leiche ins Haus? Unterdessen sitzt Gross ganz oben im Konzern, in der Nähe von Gottvater Mohn, und Scholl-Latour ist Chefredakteur (unterdessen, 1985, auch schon wieder nicht mehr), und keiner von den Ressortchefs ist eine Leiche, ganz im Gegenteil. Es war eine Revolution der deutschen Art (Bitte Rasen nicht betreten). Einige von den ganz grossen Rebellen haben sich seither finanziell verbessert und prächtige Verträge mit der neuen Hierarchie ausgehandelt. Ich persönlich gestehe, dass ich darüber schwer hinwegkomme, unter den Aufgestiegenen sind solche, die man früher respektieren konnte. Die Saugkraft dieses Betriebs ist enorm, und wohin soll man, wenn man beim STERN gewesen ist, als wieder zum STERN? Wo garniert man so tüchtig, wo kann man sich so bedeutend vorkommen, wo hat man als Redakteur schon fast ein Ministergefühl und als Chefredakteur eine schimmernde Staatspräsidentenaura? Man ist nicht ungestraft bei der «grössten und besten Illustrierten der Welt» (wie Foto-Chefredakteur Gillhausen einmal sagte).