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Sie schaute in den Spiegel: «So wie ich es bestimme, so bin ich», dachte sie und betrachtete sich genau, doch verwirrte sie die Vorstellung, es blicke ihr da ein Gemisch von zurückgelassenen Erinnerungen an verstorbene Tanten, Onkel, Großtanten, Großväter und andere meerschweinähnliche Verwandte entgegen. Sie streckte sich die Zunge heraus und sagte laut: «Was kümmert mich das; ich, Luzia, werde mich schon durchsetzen.» Heute noch würde sie eine Liste aufstellen mit allen Eigenschaften, die momentan und vorläufig die Luzia, die da in den Spiegel guckte, auszeichneten. Sie würde alles, was sie hasste und liebte, samt ihren Plänen und Niederlagen niederschreiben und über das Ganze die Überschrift: «Luzia mit vierzehn Jahren» setzen. Aber vielleicht war sie weder so, wie sie sich, noch so, wie ihr Vater sie sah? Gab es Menschen, die ihr ganzes Leben lang niemand richtig kannte, nicht einmal sie selbst? Man bestand aus tausend Bildern; wenn einen ein Greis, die Mutter, der Geliebte, ein kleines Kind oder ein Hund betrachteten, wurde man zu fünf verschiedenen Personen; und wenn einen jemand aus der Höhe anschaute, oder aus der Ferne, oder durch ein riesiges Mikroskop … Und es gab Geisteskranke, die sich selber als Tier sahen, oder als eine Berühmtheit, oder als Gott, oder als Teufel. Waren sie es nicht? Für die andern nicht, aber für sich selber gewiss; wie ein Reicher, der sich einbildete, verarmt zu sein, tatsächlich arm war … Ihre Wangen wurden rot, ihre Augen glänzten; wenn sie «spintisierte», wie ihr Vater es nannte, fühlte sie sich frei, als wäre die Welt durchsichtig, als würden Vergangenheit und Zukunft zu wunderbaren, klaren Bildern verschmelzen, die in Eiern darauf warteten, dass ein freier Mensch sie erlöse; mit einem Stab in der Hand würde sie durch ein weißes Eierland schreiten und die Eier, die vor Verlangen, geöffnet zu werden, zu glühen begannen, erlösen; ein Bild nach dem andern würde ihr Stab hervorholen, her­vorzaubern und auf den Eierschalen tanzen lassen. Sie würde singen mit ihrer zarten Stimme und dirigieren mit ihrem Stab; auch der Vater träte aus einem Ei und würde auf seinen steifen Beinen umherhopsen und sie wüsste alles über ihn: es gäbe ihn wirklich …

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