Читать книгу Unter Schweizer Schutz. Die Rettungsaktion von Carl Lutz während des Zweiten Weltkriegs in Budapest - Zeitzeugen berichten онлайн
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Aus dem Französischen von Lis Künzli
Erinnerungen aus der WiderstandsbewegungRafi Benshalom
Tamar und Rafi Benshalom, Kibbuz Ha’ogen, Israel 1994
Kibbuz Ha’ogen, Israel«Wir durften den Henkern keine helfende Hand reichen»
Richard Friedl (später Rafi Benshalom) wurde im Januar 1944 gemeinsam mit Mosche Alpan (Pil) aus Nové Město (Tschechoslowakei) nach Budapest entsandt, um die von der Haschomer Hazair-Bewegung organisierten Rettungsaktionen für Flüchtlinge zu überwachen. Im Frühling 1944 trat Richard Friedl mit der Bitte an Carl Lutz heran, auf Basis eines Ausweises, der auf den Namen «János Sampiás» ausgestellt war, seine amerikanische Staatsbürgerschaft zu bestätigen. Als Friedl Lutz später gestand, dass er nicht János Sampiás war, versicherte dieser ihm, dass er ihn weiterhin schützen werde.44
Der 19. März war ein Sonntag. Wie in einem Albtraum beobachtete ich [in Budapest] dasselbe schreckliche Schauspiel, das sich genau fünf Jahre zuvor auf den Strassen von Prag abgespielt hatte. Die endlosen Kolonnen grauer Panzer, die Motorräder, die militärisch getarnten Fahrzeuge, alles bewegte sich stumm mit der Präzision eines Uhrwerks vorwärts, Angst und Schrecken über der schneebedeckten Stadt verbreitend. Was wir so sehr gefürchtet und wovor wir so oft gewarnt hatten, war eingetroffen. Spontan trafen wir uns alle im Hauptquartier der Bewegung. Von dort machten wir uns auf den Weg zu den Büros des jüdischen Nationalfonds, da wir wussten, dass sich dort die gesamte zionistische Führung versammeln würde. Und tatsächlich, da sassen sie alle. Alle diese Herren, die sich stets so sicher gewesen waren – und sich ihre eigenen Stürme im Wasserglas zusammenbrauten –, warteten nun darauf, dass ihnen jemand Mut zusprach und Vorschläge für das weitere Vorgehen machte. Und zum ersten Mal waren diese erfahrenen Männer, die mehr Respekt einforderten, als ihnen zustand, in ihrer Autorität ratlos und baten uns um Hilfe. Jetzt erinnerten sie sich an unsere Warnungen und wollten wissen, wie es sich genau verhielt und was wir vorschlugen. Wir sahen einander an – Leon Blatt aus Polen, Ivo Davidovitch aus Jugoslawien, Eli Sajó und ich aus der Slowakei – und konnten uns ein bitteres Lächeln nicht verkneifen. Wir vier waren uns einig: Diese Zionisten durften für das, was nun bevorstand, nicht die Verantwortung übernehmen, sie durften die Führungsposition nicht einnehmen, denn das, was jetzt drohte, war die absolute Vernichtung, und wir durften den Henkern keine helfende Hand reichen. Es war unumgänglich, dass wir uns in den Schatten zurückzogen, die Dinge von dort aus lenkten und ruhig und ohne Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen, taten, was in unserer Macht stand.