Читать книгу Es ist noch kein Meister in den Himmel gefallen. Gebrauchsanleitung für das letzte Lebensdrittel онлайн

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In unserer Kultur führt der Tod ein Schattendasein im Konjunktiv, wenngleich nichts realer ist als er, wie vielen Menschen erst während der Pandemie bewusst wurde. Je angestrengter wir versuchen, den Tod zu verdrängen, desto mehr Lebenskraft rauben wir uns. Wir mögen dann zwar sehr aktiv sein, doch wir spüren nicht, was wir tun, weil es für die Wahrnehmung den ganzen Menschen braucht, keinen seelisch Teilamputierten.

In unserem Alltag werden wir nur selten mit dem Tod konfrontiert. Das hat sich in der Coronazeit geändert, und wir haben gesehen, wie hilflos wir ihm gegenüberstehen. Früher und in vielen Teilen der Welt auch heute noch war der Tod allgegenwärtig, und es starben auch jüngere Menschen: Säuglinge, Kinder, Jugendliche, Mütter, Soldaten. Sie starben durch Hunger, Krankheit, Seuchen und Kriege und mangelnde medizinische Versorgung sowie katastrophale hygienische Bedingungen. Und es ging schnell, häufig durch Infektionen. Heute wird oft langsam und lang gestorben. Das gilt besonders für ältere Menschen mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen und chronischen Krankheiten. Früher war der Tod ein vertrauter Zeitgenosse. Familie, Freunde, Nachbarn verbrachten die letzten Stunden am Bett des sterbenden Menschen. Es wurde gemeinsam gebetet und Abschied genommen. Gemeinsam wurde der Verstorbene gewaschen und angekleidet, hergerichtet für die Aufbahrung. Und wieder saßen die Verwandten und Freunde bei ihm und hielten die Totenwache. Sie konnte mehrere Tage dauern, und bei einer Beerdigung wurde der Sarg offen durch das Dorf getragen. Heute sind die Särge von den Straßen verbannt und einige Bestattungsunternehmen verzichten auf alles, was das Dienstfahrzeug als Leichenwagen entlarven könnte. Die Sterbenden und Toten werden aus dem Alltagsleben entfernt und professionellen Kräften zur Bearbeitung, ja vielleicht ein Stück weit sogar zur »Ent-Sorgung« übergeben. Das mündet in eine vermehrte Unsicherheit im Umgang mit Sterben und Tod. Denn den Tod, den wir vor Augen haben – jeden Tag hundertfach oder tausendfach, je nachdem, wie lange wir vor dem Bildschirm sitzen, der ist virtuell, nicht aus Fleisch und Blut. Kühl im Kasten. Echte Tote, vielleicht die Eltern oder Großeltern, wie schlafend im Bett liegend, haben die wenigsten Menschen gesehen, aber Tausende von Toten im Fernsehen. Und sie alle, das sollten wir nie vergessen, werden wiedergeboren, stehen nach ihrer Szene wieder auf und leben weiter, wenn auch in einer anderen Rolle als in diesem Film. Sie haben die Kleider gewechselt …

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