Читать книгу Es ist noch kein Meister in den Himmel gefallen. Gebrauchsanleitung für das letzte Lebensdrittel онлайн
13 страница из 27
Vielleicht ist der Tod ein so faszinierendes Thema in meinem Leben, weil ich selbst zwei außerkörperliche Erlebnisse hatte, die sich wie Sterben anfühlten. Beim ersten war ich zwölf Jahre alt und lag nach einer schweren Masernerkrankung mit Meningitis in der Kieler Universitätsklinik – oder wer lag da im Bett, wen sah ich von oben? Genauso beim zweiten Mal im Alter von etwa dreißig. War ich das oder nur meine Hülle, die ich beobachtete? Mir dienten diese Nahtoderlebnisse als Beweise dafür, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als wir gemeinhin glauben – und im Laufe der Jahre habe ich viele weitere gesammelt – selbst erfahrene und von anderen gehörte und gelesene. Je intensiver ich mich mit dem vermeintlich grauen Tod auseinandersetzte, desto bunter wurde mein Leben. Ich nahm wahr, wie die ängstliche Abspaltung des Todes von der Lebensfreude trennt. Das erkennen die meisten Menschen, wenn sie in die Nähe des Todes kommen, wenn sie einen lieben Angehörigen oder Freund verlieren. Danach ist alles anders als davor. Der Tod hat sie gestreift und ihnen Lebendigkeit geschenkt, trotz aller Trauer. Doch die bleibt nicht für immer. Man setzt sich nicht einmal ein bisschen mit dem Tod auseinander und dann reicht das bis zum Sankt Nimmerleinstag. Die Vorbereitung auf den Tod ist ein Langzeitprojekt, bedarf regelmäßiger Praxis, und idealerweise lässt man sich von Fachleuten unterweisen, in meinem Fall Lamas, also buddhistischen Priestern. Die verstehen ihr Handwerk, denn in ihrer Lehre spielt der Tod eine Schlüsselrolle. Wenn der Motor meines Autos stottert, bringe ich es nicht zur Logopädin, sondern in die Kfz-Werkstatt. Der Buddhismus ist die Werkstatt, die sich am intensivsten mit dem Tod beschäftigt hat, also bin ich hier Kunde geworden, kann sein, dass das an meiner Déformation professionelle als Coach liegt: Wir sind zwanghaft lösungsorientiert und suchen stets den schnellsten und erfolgversprechendsten Weg. Während unsere westliche Welt Erfolg vor allem an äußerlich Sichtbarem misst – mein Hausboot, mein Hafen, mein Hummer – zählt in der östlichen Welt die innere Entwicklung, die auch sichtbar ist, sie strahlt geradezu ab. Menschen, die keine Angst haben, nach innen zu blicken, sind zufriedener mit ihrem Leben. Sie wirken oft jünger, erreichen also genau das, was andere, die den Tod ignorieren, so unbedingt erstreben. Sich mit dem Sterben auseinanderzusetzen hält jung! Sich bei lebendigem Leib wie tot zu fühlen macht alt. Das kann man an Menschen beobachten, die sich innerlich aufgegeben haben, weil sie keine Sinnhaftigkeit mehr im Leben sehen, es gibt keine Ziele mehr zu erreichen, sie drehen ihre letzten Schleifen in der Warteposition. Worauf warten sie? Auf den Tod, aber nicht freudig, sondern eher fatalistisch, ergeben und voller Angst, Lämmchen zur Schlachtbank. Häufig wird die Vergangenheit glorifiziert nach dem Motto: Früher war alles besser. Kein Wunder, dass die Gegenwart schal wirkt und sich Gefühle der Trauer, Unzufriedenheit, Antriebslosigkeit, manchmal Verbitterung einstellen. Da hat man sich sein Leben lang aufgearbeitet für die Firma – und was bleibt? Menschen, die unvorbereitet aus dem Beruf ausscheiden, sterben manchmal kurz nach ihrer Pensionierung – weil sie sich vollständig mit dem identifizierten, was sie darstellten. Ich bin die Deutsche Bank, ich bin Siemens. Diese Vermischung habe ich gehäuft im Führungskräftecoaching erlebt. Wenn die Deutsche Bank wegbricht und das Eckbüro mit Fenstern und das Vorzimmer mit den beiden Damen und der Firmenwagen mit Chauffeur … was bleibt dann? Und was bleibt ein paar Etagen tiefer bei den Sachbearbeiterinnen und im Lager? Warten auf den Tod? Nein, natürlich nicht, man will sich seinen Hobbys widmen, falls man welche hat, oder endlich anfangen mit Klavier und Reiten und viel Lesen und Spazierengehen – und ein Ehrenamt, natürlich. Wie wäre es mit einem Ehrenamt an sich selbst? Sich endlich mal um sich selbst kümmern, aber nicht mit neuen Spielzeugen, sondern auf der großen Spielwiese der Seele. Alles ist schon da. Es war immer da. Wir haben es nur so lange nicht beachtet, weil wir im Hamsterrad des Alltags hetzten. Eines Tages wird es stillstehen. Und dann ist es gut, vorbereitet zu sein.