Читать книгу Es ist noch kein Meister in den Himmel gefallen. Gebrauchsanleitung für das letzte Lebensdrittel онлайн
9 страница из 27
In Indien sorgen die Kinder traditionell für ihre alternden Eltern, damit diese sich spirituell auf den Tod vorbereiten können. Das Sterben wird als Investition in das nächste Leben gesehen. So wie wir uns mehrheitlich um unser Rentenkonto kümmern, werfen spirituell orientierte Menschen einen Blick auf ihr Seelenkonto. Sie möchten – vereinfacht ausgedrückt – den Übertritt im Haben, nicht im Soll vollziehen, um dann in einem neuen Leben ohne Schulden zu beginnen. Dieses Streben führt automatisch aus der Einsamkeit heraus, weil es die Vorbereitung auf den Tod mit dem Leben verbindet – wie könnten wir da einsam sein! Das bedeutet auch, dass Buddhisten ihre Umwelt, die Erde, gut behandeln, denn nach ihnen kommt nicht die Sintflut, sondern ein neues Leben. Es geht also darum, nicht passiv auf den Tod zu warten oder sich lediglich darum zu kümmern, noch recht viel zu erleben, bevor alles aus ist, sondern den Tod bewusst zu gestalten, um uns in unserer besten Version von uns selbst zu verabschieden … und neu zu starten. Und so wie wir uns nachts betten – angenommen mit zwanzig Kilo Übergewicht – erwachen wir am anderen Morgen, auch wenn ein Diätratgeber verspricht: Schlank werden im Schlaf. Wenn wir mit Rachegedanken einschlafen, werden wir vermutlich nicht befriedet aufwachen. Das wissen wir. Aber wir ziehen den Kreis zu eng, wenn wir diese Gesetzmäßigkeiten auf eine einzige Existenz beschränken. Der Dalai Lama, der in letzter Zeit fast ein bisschen in Mode gekommen ist, beschreibt es so: »Ich glaube, Sterben ist in gewissem Sinne wie das Wechseln von Kleidern, wenn sie alt und abgetragen sind. Es ist nichts Endgültiges.«1