Читать книгу Der Seelenwexler. Roman онлайн

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«Ita est», ja, so ist es, erwiderte der Pater bloss. Er konnte seine Befriedigung, mit einem seiner Schüler quasi lateinische Konversation zu treiben, kaum verhehlen.

Seidenbast war sprachlos. Sie hatten sich mittlerweile auf zwei Barhocker an die Holztheke gesetzt. Seidenbast hatte den Ellbogen aufgestützt, seinen Kopf in die Hand gelegt und betrachtete seinen Angestellten von der Seite. Mit einem Ausdruck, der ebenso gut Amüsement wie grenzenloses Erstaunen bedeuten konnte.

«Sie haben es ja faustdick hinter den Ohren», sagte er.

Phil nahm das als Kompliment.

«Erzählen Sie mir mehr von der Klosterschule», forderte Seidenbast ihn auf. «Das interessiert mich.»

Phil tauchte noch einmal in gymnasiale Erinnerungen ein. Seidenbast hörte aufmerksam zu, als er aus dem Internatsnähkästchen zu plaudern begann. Doch Phil wählte sorgfältig aus, welche von diesen Erinnerungen er seinem Boss erzählte und welche nicht.

Ein Jahr lang war er der Trottel, der Tgutg, aus dem Seitental gewesen, von fast zuhinterst. Er hatte kaum mehr als seinen Hof, sein Dorf und das Nachbardorf gesehen, in dem er zur Sekundarschule ging. Einmal im Monat hatte er den alten Caduff ins Tal oder nach Ilanz begleitet, je nachdem, wo gerade Markt oder Viehmarkt war. Er sprach Rätoromanisch – seine Muttersprache, das Holländische, hatte er vergessen –, lernte in der Primar- und Sekundarschule ohne Schwierigkeiten Deutsch und verleibte sich nebenbei den Bündner Dialekt ein. Von der weiten Welt und von den Mädchen wusste er nichts, er fürchtete beide bloss ein bisschen. Das Internat war deshalb eine Offenbarung: So also konnte das Leben sein!, das hatte er nicht gewusst. Für andere mochte es ein Albtraum sein, weit weg von zuhause, fern von Mutter und Vater, ein ungewohnt geregeltes und kontrolliertes Leben führen zu müssen. Für ihn war es ein Privileg. Dass er sein Zimmer mit Guido teilen musste, war kein Problem, sondern ein Geschenk. Denn Freunde kannte er bis anhin ebenso wenig wie Mädchen. Guido war ein unkomplizierter Kerl. Er frotzelte Gion-Gieri ständig ein bisschen, und Gion-Gieri musste rasch die Spielregeln des Frotzelns lernen. Einmal entstand daraus ein handfester Streit. Auch das war etwas Neues gewesen: dass man sich streiten konnte, ohne dreinzuschlagen oder geschlagen zu werden. Eine kleine Keilerei, ein kräftiger Schubs, das war alles gewesen. Nein, mit dem Zimmerteilen hatte er keine Mühe. Zuhause im Lugnez hatte er auch kein eigenes Zimmer gehabt. Besser gesagt, überhaupt keines, nicht einmal ein eigenes Bett. Als Mutter nicht mehr da war, in deren Bett er hatte schlafen dürfen, schlug der alte Caduff im Zorn mit der Axt ihre Bettstatt auseinander und verbrannte das Holz im Ofen. Gion-Gieri hatte, wenn der Alte ihn nicht im Suff in seinem Bett haben wollte, auf der Ofenbank oder im Heu geschlafen.

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