Читать книгу Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie – Studienausgabe. Herausgegeben und ergänzt um Aufsätze, Primärbibliographie und Nachwort von Matthias Bormuth und Martin Vialon онлайн

100 страница из 203

Denn was hier von CatoCato v. Utica und VergilVergil gesagt wurde, gilt von der Komödie im ganzen. Sie ist ganz und gar auf figuraler Anschauung gegründet. In meiner Untersuchung über DanteDante als Dichter der irdischen Welt (1929) habe ich zu zeigen versucht, daß DanteDante es in der Komödie unternommen hat, «die gesamte irdisch-historische Welt … als schon dem endgültigen Urteil Gottes unterworfen und somit an ihren eigentlichen, ihr nach dem göttlichen Urteil zukommenden Platz gestellt, als schon gerichtet vorzustellen, und zwar so, daß er die einzelnen Gestalten … nicht etwa ihres irdischen Charakters beraubt oder ihn abschwächt, sondern indem er die äußerste Steigerung ihres individuellen irdisch-historischen Wesens festhält und sie mit dem Endgeschick identifiziert» (S. 108). Für diese Auffassung, die schon bei HegelHegel, G. W. F. zu finden ist und auf der meine Interpretation der Komödie beruhte, fehlte mir damals die genaue geschichtliche Grundlage; sie ist in den einleitenden Kapiteln des Buches mehr geahnt als erkannt. Diese Grundlage glaube ich jetzt gefunden zu haben; es ist eben die FiguraldeutungFiguraldeutung der Wirklichkeit, die im europäischen Mittelalter, wenn auch in ständigem Kampf gegen reine spiritualistischeSpiritualismus und neuplatonischePlaton TendenzenNeuplatonismus, die Anschauung beherrschte: daß das irdische Leben zwar durchaus wirklich sei, von der Wirklichkeit jenes Fleisches, in das der Logos einging, aber in all seiner Wirklichkeit doch nur umbra und figura des Eigentlichen, Zukünftigen, Endgültigen und Wahren, welches, die Figur enthüllend und bewahrend, die wahre Wirklichkeit enthalten werde. Auf diese Art wird jedes irdische Geschehen nicht als eine endgültige, sich selbst genügende Wirklichkeit angesehen, auch nicht als Glied in einer Entwicklungskette, wo aus einem Ereignis oder aus dem Zusammenwirken mehrerer immer wieder neue Ereignisse entspringen, sondern es wird zunächst im unmittelbaren vertikalen Zusammenhang mit einer göttlichen Ordnung betrachtet, in der es enthalten ist und die selbst eines künftigen Tages geschehende Wirklichkeit sein wird; und somit ist das irdische Ereignis Realprophetie oder figura eines Teiles zukünftig geschehender, unmittelbar vollendet göttlicher Wirklichkeit. Diese aber ist nicht nur zukünftig, sondern in Gottes Auge und im Jenseits jederzeit gegenwärtig, so daß dort jederzeit, oder auch zeitlos, die enthüllte und wahre Wirklichkeit vorhanden ist. DantesDante Werk ist der Versuch einer zugleich dichterischen und systematischen Erfassung der gesamten Weltwirklichkeit in solchem Lichte. Dem in der irdischen Verwirrung vom Untergang Bedrohten, so ist der Rahmen der Vision, kommt die Gnade der himmlischen Kräfte zu Hilfe. Von früher Jugend an war er besonderer Gnade teilhaftig, weil er zu besonderer Aufgabe bestimmt war; früh schon hatte er in einem lebenden Wesen, in Beatrice – und hier spielen, wie so oft, Figuralstruktur und NeuplatonismusNeuplatonismusPlaton ineinander – die inkarnierte Offenbarung sehen dürfen, die ihn, wenn auch verhüllt, schon als Lebende durch den Gruß ihrer Augen und ihres Mundes und als Sterbende auf eine nicht ausgesprochene, geheimnisvolle Weise auszeichnete.49 Die Gestorbene und nun Selige, die für ihn die inkarnierte Offenbarung war, findet für den Verirrten die einzige Rettung, die es noch gibt; sie ist mittelbar, und im Paradiese unmittelbar, seine Führerin, die ihm die enthüllte Ordnung, die Wahrheit der irdischen Figuren zeigt. Was er in den drei Reichen sieht und lernt, ist wahre, konkrete Wirklichkeit, und zwar eben von der Art, daß darin die irdische figura enthalten und gedeutet ist; indem er, noch als Lebender, die erfüllte Wahrheit sieht, wird er selbst gerettet und zugleich fähig, der Welt das Gesehene zu verkünden und sie auf den rechten Weg zu weisen.

Правообладателям